1258 - Der Leichen-Skandal
eine Premiere sein. Aber keine besonders gute.
Dann sah er ihn. Er sprang mit einem Satz aus der Mulde hervor, lief dem Förster entgegen und fing an zu bellen, als er in dessen Nähe geriet. Er scharrte mit den Pfoten. Er warf den Kopf vor und zurück und wurde erst ruhiger, als Paine ihn erreicht hatte, seinen Arm nach unten streckte und Rowdy den Kopf streichelte.
Der Hund leckte ihm die Hand. Er hechelte, er knurrte dabei, und sein wuscheliges Fell war gesträubt.
»Ist ja alles gut, Rowdy, ist ja alles gut. Wir beide regeln das schon - okay?«
Mensch und Tier verstanden sich gut. So war es immer gewesen. In diesem Fall allerdings lief einiges schief, denn Rowdy wollte plötzlich nicht mehr. Er sprang zur Seite, entglitt der streichelnden Hand und verschwand nach wenigen Sätzen wieder in der Mulde, um dort herumzuscharren, was auch bis an Paines Ohren drang.
Der Förster wollte sich in Bewegung setzen, doch Rowdy war schneller. Plötzlich sprang er wieder aus der Mulde hervor, und diesmal hatte er etwas mitgebracht.
Es hing zwischen den Zähnen in seiner geöffneten Schnauze, und den Förster traf beinahe der Schlag, als er sah, was es war.
Es war ein halb verwester Arm!
***
»Sehen Sie sich das an, Mr. Sinclair! Sehen Sie sich das an!« Helen Carver stoppte ihren Redefluss, schnappte nach Luft und deutete auf den grauen Inhalt des Glases. »Das… das… sind die Reste meines Mannes«, keuchte sie und ihr Gesicht erhielt wieder mehr Farbe. »Oder die Reste, die mein Mann hätten sein sollen.«
Ich schwieg.
Auch Suko sagte nichts, der sich ebenfalls in unserem gemeinsamen Büro aufhielt. Wir beide schauten auf den Inhalt des Glases und auch auf Helen Carver, eine Frau von etwa 55 Jahren, deren Haar bereits stark ergraut war und unordentlich ihren Kopf umhing. Das Gesicht hatte sich gerötet, und um die Augen herum traten die Adern besonders stark hervor. Am Kinn zitterten die kleinen Härchen eines Damenbarts. Dadurch hatte ihr Gesicht einen etwas männlichen Ausdruck erhalten.
Sie war bei ihrer letzten Erklärung aufgesprungen und setzte sich jetzt wieder hin, als Suko sie mit leiser Stimme darum bat.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte ich.
»Nein. Der würde mich noch stärker aufregen. Sie glauben gar nicht, was dieser Besuch für mich bedeutet. Das ist alles sehr schlimm, Mr. Sinclair.«
»Vielleicht ein Glas Wasser?«
»Ja, das wäre gut.«
»Okay, ich hole es Ihnen.«
Bei Glenda im Vorzimmer bekam ich auch das. Sie befand sich nicht im Raum und lenkte mich deshalb auch nicht von meinen Gedanken ab. Es gibt Menschen, die sehr penetrant sein können, und dazu gehörte eben auch Helen Carver.
Mehrmals schon hatte sie telefoniert. Nicht nur mit uns. Es war ihr sogar gelungen, an unseren Chef, Sir James Powell, heranzukommen und ihn auf ihr Problem hinzuweisen.
Dort war sie dann so überzeugend gewesen, dass Sir James einem Besuch zugestimmt hatte. Nun war sie bei uns und präsentierte uns die angebliche Asche ihres Mannes in einem Einmachglas.
Mit dem Wasser ging ich wieder zurück ins Büro. Unsere Besucherin hatte ihren Platz nicht verlassen.
Sie saß dort und schaute ins Leere, während sie heftig atmete. Das Glas stand noch immer auf dem Schreibtisch. Jeder konnte durch die hellen Wände auf den grauen Inhalt schauen.
»Trinken Sie erst mal.«
»Danke, Mr. Sinclair.«
Sie hatte wirklich großen Durst und stellte das Glas erst ab, als es leer war.
»Noch eines?«
»Nein, danke, das reicht.«
Ich setzte mich wieder. In meinem Blickfeld stand ebenfalls das Glas, und ich schaute auf den grauen Inhalt, auf die Asche eines Toten, wie man hätte meinen können.
Suko und ich wussten nicht besonders viel. Uns war bisher nur bekannt, dass Helen Carver nicht daran glaubte, dass es sich um die Asche ihres verstorbenen Mannes handelte.
»Können Sie jetzt alles von vorn erzählen«, fragte Suko. »Sie wissen ja, wo Sie sich befinden. Polizisten müssen nun mal diese Fragen stellen.«
»Klar, das verstehe ich. Deshalb bin ich auch zu Ihnen gekommen, meine Herren.«
»Wunderbar.«
Sie senkte den Kopf und runzelte dabei die Stirn. Sie wollte nachdenken, hob den Kopf wieder an, als sie zu einem Resultat gekommen war und sagte mit leiser Stimme: »Mein Mann ist vor drei Monaten gestorben. Er wollte nicht normal beerdigt werden. Ich sollte ihn verbrennen lassen. Das ist auch preiswerter. Ich habe ihm diesen Wunsch erfüllt. Sie wissen ja, wie das ist. Es dauert immer seine Zeit, bis es
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