126 - Luziferas Horror-Maske
lief mit den ersten
gestempelten Karten von Tisch zu Tisch, sprach jeden einzelnen Gast an und bat
um Verständnis. Die Wahrheit konnte er nicht sagen. Niemand hätte sie ihm
abgenommen. Ihm blieb nichts anderes als die Lügengeschichte, die X-RAY-3 sich
ausgedacht hatte, die überzeugend klang und am wenigsten zu Nachfragen reizte.
„Wir haben leider Pech mit der
Wasserversorgung“, erzählte er. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Wir
wurden telefonisch davon verständigt, dass wegen eines Wasserrohrbruchs die
Versorgung unseres abgelegenen Hauses nicht aufrecht erhalten werden kann. Das
Wasser wurde inzwischen abgestellt, wir müssen für diesen Abend den
Küchenbetrieb leider einstellen und können keine Speisen mehr zubereiten. Zu
allem Überfluss gibt es eine weitere Hiobsbotschaft: Die Stromversorgung muss
leider ebenfalls unterbrochen werden. Es muss mit einem Erdrutsch auf der
anderen Seite des Berges Zusammenhängen. Nach den heftigen und ununterbrochenen
Regenfällen der vergangenen Tage sind zwei Masten unterspült worden. Der
Schaden wurde erst durch Zufall entdeckt. Ich bedaure außerordentlich, Ihnen
mitteilen zu müssen, dass wir unseren Betrieb deshalb heute Abend schließen
müssen. Ein ungewöhnlicher Vorgang, ich weiß, und bitte Sie auch ganz herzlich
um Entschuldigung dafür. Ich bin ein Opfer wie Sie. Für Sie ist es nur
schlimmer. Sie hatten sich auf einen angenehmen Abend, auf ein gutes Essen gefreut.
Beides wollen wir Ihnen auch geben, und zwar gratis. An einem der nächsten Tage
oder Abende ... wann immer Sie wollen. Sie sollen Gast unseres Hauses sein. Mit
diesem Gutschein wollen wir Sie entschädigen.“
Das kam gut an. Die meisten Gäste waren begreiflicherweise
enttäuscht, zeigten aber Verständnis für die Situation, die schließlich auch
dem Wirt nicht recht sein konnte. Einige brachen gleich auf, um noch woanders
den angebrochenen Abend neu zu beginnen und rechtzeitig das Essen einzunehmen,
andere blieben noch eine Viertelstunde sitzen. Die bereits ihr Essen erhalten
hatten, konnten in Ruhe speisen.
An jedem Tisch rasselte Erhard Schelcher sein
Sprüchlein herunter, und jedes Mal kam es ihm leichter über die Lippen, dass er
schon selbst daran glaubte, das Wasser wäre abgestellt und innerhalb der
nächsten Minuten auch mit Stromausfall zu rechnen. Damit ließ er sich noch eine
halbe Stunde Zeit. Dann schraubte er die Hauptsicherung heraus. Die letzten
Gäste wurden fröhlich und scherzhaft nur noch bei Kerzenschein bewirtet und
dann abkassiert. Das Ehepaar Schelcher ließ es sich nicht nehmen, die
Allerletzten bei Taschenlampenlicht zum Parkplatz zu begleiten und dort
persönlich und mit einem kleinen Weinpräsent zu verabschieden.
Erhard Schelcher war erleichtert, als der
letzte Wagen vom Parkplatz rollte und die roten Rücklichter auf der gewundenen
Straße zwischen den Bäumen verschwanden. Dann leitete die Familie ihren Auszuge
in. Erhard Schelcher telefonierte mit einem Freund, der zehn Kilometer entfernt
einen großen Bungalow besaß. Eine Souterrainwohnung direkt am Hang stand stets
kostenfrei Gästen zur Verfügung, die von Zeit zu Zeit die Gastfreundschaft des
Hausherrn genossen. Da gab’s überhaupt keine Probleme. Die Wohnung war gerade
leer, und der Hausherr bot den Schelchers seine Hilfe
an. „Dann kommt wenigstens mal wieder Leben in die Bude“, freute sich der
Freund am anderen Ende der Strippe. „Eigentlich traurig, dass erst Wasser- und
Stromausfall eintreten müssen, um euch dazu zu zwingen, die eigenen vier Wände
mal wieder zu verlassen. Ich will nur hoffen, dass ihr hier nicht auf dem
Trockenen und im Dunkeln sitzt... Die Trockenheit ist am ehesten zu ertragen.
Wir werden in Sekt baden, wenn es sein muss... und ich stell schon mal überall
Kerzen auf für den Fall, dass sie mir ebenfalls den Strom abdrehen.“
Erhard Schelcher lachte, obwohl ihm nicht
danach zumute war, und überlegte, ob er im Haus seines Freundes vielleicht doch
mit der Wahrheit herausrücken sollte.
Nach dem Telefonat fuhren sie los. Evelyn benutzte
ihren eigenen Wagen, einen ockerfarbenen Renault 12. Sie fuhr hinter dem
dunkelblauen Mercedes ihres Vaters her, wirkte gedankenversunken und fuhr
unkonzentriert. Das verlassene Haus blieb in der Dunkelheit hinter ihnen
zurück.
●
Aus, grellte der
Gedanke durch sein Hirn, als er über den Rand flog. Wie ein Stein fiel er in
die Tiefe des feuchten, schwarzen Brunnenschachts. Martin Rickerts Lebenswille
erwachte. Er
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