1263 - Das Wissen der Toten
von dem Hintergrund ab.
Das Mädchen wartete ab. Es rückte seine Brille zurecht und zog die Schultern hoch. Im Zimmer war es kühler geworden, als wäre die Kälte durch die Wände von außen her eingedrungen. Und draußen war die Temperatur ebenfalls gesunken, der Monat April war plötzlich wieder kalt geworden, doch das interessierte Alexa nicht. Das hier war ihr Reich, und in es war etwas eingedrungen, das nicht von dieser Welt war, was sie allerdings nicht störte.
Peter war mittlerweile zu einem Teil ihres Lebens geworden. Sie empfand etwas für ihn, und sie musste zugeben, dass es zwischen ihm und ihr ein Band gab.
Er tat nichts. Er schaute auf den Ball. Irgendwann warf er ihn hoch und fing ihn wieder auf. Alexa kannte das Spiel. Sie musste ruhig bleiben. Irgendwann würde er sich schon melden und etwas zu ihr sagen. Geduld war eine wichtige Tugend. Ohne sie kam man mit der anderen Seite überhaupt nicht zurecht.
Peter tickte den Ball noch ein letztes Mal auf. Dann hielt er ihn fest, und zum ersten Mal seit seinem Erscheinen hörte Alexa die Stimme des Jungen.
»Brauchst du Hilfe?«
Alexa Jenkins lächelte. Auf diese Frage hatte sie gewartet. Jetzt war sie sicher, dass Peter nicht nur erschienen war, um sofort wieder zu verschwinden. Sie dachte auch über seine Stimme nach. Sie hatte sich nicht verändert, da war Alexa sich sicher, aber es war einfach toll, sie zu hören. Ein Toter hatte mit ihr gesprochen, auch wenn sie Mühe gehabt hatte, Peter zu verstehen, weil seine Stimme doch recht leise geklungen hatte und auch nicht unbedingt mit der eines normalen Menschen zu vergleichen war. Die Worte waren von einem Zischen unterlegt worden, als hätte er beim Sprechen scharf geatmet.
Sie nickte ihm zu. »Es könnte nicht schaden«, erklärte sie.
»Dann sag es mir.«
»Mathematik.«
»Gut.«
»Morgen schreiben wir eine wichtige Arbeit.«
»Wie ist die letzte ausgefallen?«
»Ich war die Beste.«
»Das freut mich. Ich werde dafür sorgen, dass du auch jetzt wieder die Beste sein wirst.«
»Danke.«
»Dann sage mir, was ich dir sagen muss. Welches Gebiet wird bei euch abgefragt?«
»Es geht um die Berechnung von Dreiecken. Trigonometrie. Ich habe da meine Schwierigkeiten mit Socinus, Sinus oder Tangens. Ich kann die schriftlichen Aufgaben nicht gut lösen, verstehst du?«
»Ja, das verstehe ich. Deshalb werde ich dir auch helfen. Du solltest die Augen schließen.«
»Gern.«
Alexa war froh. Sie kannte das Spiel genau. Wenn er sich auf sie konzentrierte, dann begannen die Informationen zu fließen. Da hatte sie dann das Gefühl, dass sich ihr Kopf öffnete und sich dabei in einen Trichter verwandelte, der alles an Wissen in sich aufnahm, was wichtig war. Sie musste sich entspannen, nur locker bleiben, an nichts anderes denken und sich nicht ablenken lassen.
Ja, es war gut. Es klappte. Sie konnte plötzlich lächeln, obwohl sie der Ansicht war, nicht mehr sie selbst zu sein, denn in ihrem Kopf hatte etwas Fremdes seinen Platz gefunden, und er kam ihr auch vor, als wäre er vom Körper abgelöst worden.
Alexa erlebte wirklich ein kleines Wunder. Jemand aus dem Reich der Toten hatte mit ihr Kontakt aufgenommen. Es war Peter, kaum älter als sie. Er war gestorben, aber er wusste so viel, so unheimlich viel, und alles, was er wusste, das bekam auch sie gesagt.
Für Alexa war es einfach ein wunderbares Gefühl, so einfach und auch entspannt lernen zu können.
Sie dachte nicht über die eigentlichen Gründe nach, denn sie würde sie wohl nur schwer begreifen oder überhaupt nicht, aber sie hatte jetzt jemanden gefunden, der zu ihr hielt und sie über all diejenigen stellte, die zusammen in ihre Klasse gingen und es schwerer hatten.
Sie lernte mit geschlossenen Augen. Und sie bemerkte nicht mal, wie leicht sie die Informationen über dieses für sie eigentlich schwierige Gebiet aufnahm, verarbeitete und auch behielt.
Ja, das war schon ein kleines Wunder!
Jetzt war die Zeit nicht mehr da. Sie saß vor dem Spiegel und erlebte den Lernvorgang, der für sie nicht zu begreifen war. Begriffe, Zahlen, Winkel-Kombinationen, Formeln - das alles hatte Platz in ihrem Kopf. Alexa wusste auch nicht, ob ihr die Informationen durch eine Stimme gegeben wurden, man drückte sie nur in ihren Kopf hinein - und sie war in der Lage, sie zu behalten.
»Mehr brauchst du nicht zu wissen. Du wirst wieder die Beste in der Klasse sein.«
Nach diesem Satz brach der Kontakt ab, aber das Mädchen blieb noch auf dem Stuhl
Weitere Kostenlose Bücher