1265 - Im Visier der Schattenhexe
rannte nicht weg. Das hatte keinen Sinn. Die Cavallo war immer schneller, aber plötzlich kam ihr ein Gedanke. Es war der letzte Versuch, ihr Leben zu retten.
Sie sah auf das Kreuz, das bei jedem Schritt der blonden Bestie von der Brust wegsprang, um dann wieder gegen sie zu fallen. Es war für Glenda wie eine Botschaft, die nur noch ausgesprochen werden musste. Aktivieren, die Formel aussprechen, die allerletzte Chance nutzen, bevor die Bestie sie erneut in ihrer Gewalt hatte.
»Terra pestem…«
Die Cavallo brüllte auf. Es blieb nicht dabei, denn aus dem Lauf hervor stemmte sie sich ab. Sie verlor den Boden unter den Füßen, und es war ein wahnsinniger Sprung, der sie in Glendas unmittelbare Nähe bringen sollte.
»… teneto. Salus…«
Der Schrei der Cavallo peitschte ihr entgegen, und plötzlich war sie auch da. So schnell und so nahe, dass Glenda keine Chance mehr bekam, auch die letzten wichtigen Worte zu sprechen.
Die Cavallo sprang sie nicht an. Sie tickte nur dicht vor ihr auf und rammte dann gegen sie.
Glenda hatte das Gefühl, in die Wand hineingedrängt zu werden. Sie bekam keine Luft mehr. Sie konnte auch nicht sprechen. Alles was aus ihrem Mund hervordrang, war ein grässlich anzuhörendes Würgen. Sie merkte selbst kaum, dass sie zur Seite taumelte.
Die Cavallo gab nicht auf. Sie fühlte sich gelinkt und hintergangen. Sie wollte den Erfolg und stürzte erneut auf Glenda Perkins zu.
In diesem Augenblick hörte Glenda das huschende Geräusch. Als wäre ein Vorhang von der Decke nach unten gefallen, und zwischen ihr und der Blutsaugerin baute sich plötzlich eine Gestalt auf.
Die Schattenhexe war wieder da!
Für die Cavallo gab es keine Chance mehr, auszuweichen. Es musste zur direkten Konfrontation kommen, und darauf hatte es Assunga auch angelegt. Bevor Justine Cavallo überhaupt klar war, was hier passierte, schloss sich der Mantel um sie.
Glenda, die auf den Rücken der Schattenhexe schaute, hörte noch einen wütenden Schrei, dann waren beide Gestalten verschwunden, als hätte es sie nie zuvor gegeben…
***
Glenda stand noch auf den Beinen. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Ihr Gehirn war einfach leer, obwohl es von irgendwelchen Gedanken durchrast wurde, doch sie fanden nicht zu einem bestimmten Ziel.
Glenda fing an zu lachen. Sie konnte nicht anders. Das Lachen musste einfach heraus. Es sollte ihr Erleichterung verschaffen, was aber nicht der Fall war, denn das Lachen endete in einem Hustenanfall. Sie konnte nicht mehr stehen bleiben und schob sich an der Wand entlang zur Seite.
Irgendwann hörte der Husten auf. Glenda blieb stehen und atmete schwer. Sie war in Schweiß gebadet. Sie fühlte sich nicht mehr als Mensch, sie zitterte, und nur allmählich wurde ihr klar, dass dieser Albtraum eine glückliche Unterbrechung erfahren hatte. Aber das Gefühl der Freiheit drang trotzdem nicht durch. Noch immer sah sie sich als Gefangene dieser mörderischen Welt, in der eine andere Macht das Sagen hatte. Dass die Cavallo verschwunden war, musste nicht heißen, dass sie nicht zurückkehren würde, denn Glenda traute ihr alles zu. Auch ein Überlisten der Schattenhexe.
Sie wollte einfach nicht darüber nachdenken, was ihr diese Nacht bereits alles an negativen Dingen gebracht hatte. Es war alles so verdammt weit entfernt vom normalen Leben, aber diese Nacht war noch nicht beendet. Sie konnte davon ausgehen, dass sie noch ewig andauerte und schließlich mit der endlosen Schwärze endete.
Die Formel hatte nicht versagt!
Dieser Satz stand plötzlich wie mit zwei dicken Balken unterstrichen in ihrem Kopf. Nein, es hatte nicht versagt. Sie hatte genau die Angst und die Verwirrung der Justine Cavallo erlebt, als sie sich auf dem Weg zu ihr befunden hatte. Diese Gefühle hatten sich auf ihrem Gesicht abgezeichnet, und Glenda hatte sie zum ersten Mal ängstlich erlebt.
Sie nahm hin, dass sie vorläufig gerettet war. Aber es würde noch weitergehen, denn hier war ihr Lebensweg nicht beendet. Sie stand im Nichts, sie lebte, aber sie war trotzdem für die normale Welt wie tot.
Allmählich hatte sich auch ihre Atmung beruhigt. Glenda hob eine Hand an. Sie strich damit durch ihr Gesicht. Klebriger Schweiß blieb an der Handfläche zurück. Großen Schaden hatte sie nicht genommen. Sie konnte sich bewegen, es tat ihr nichts weh, und da sie zu den positiv denkenden Menschen gehörte, konnte sie sogar darüber lächeln, dass sie noch am Leben war. So etwas wie ein Gefühl der Freude stieg in
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