1266 - Schleichende Angst
ich.
»Nein, das habe ich nicht.«
»Hm. Drin war sie auch nicht.«
»Da gibt es aber noch einen Hinterausgang«, erklärte der Junge triumphierend.
Mehr brauchte er eigentlich nicht zu sagen. Jetzt wusste ich, wie man ungesehen aus dem Haus verschwinden konnte, aber weiter brachte mich das auch nicht.
Meine Gegner waren abgetaucht, doch sie würden nicht für alle Zeiten verschwunden bleiben. Eine besondere Nacht lag vor uns. Da würden dann gewisse Personen ihr wahres Gesicht zeigen.
Der Junge stand noch da und schaute mich pfiffig an. Er war wirklich auf Draht gewesen, im Gegensatz zu den Erwachsenen, die zwar mit offenen Augen durch die Gegend liefen, aber trotzdem nichts sahen oder auch nichts sehen wollten.
Ich wunderte mich etwas über das Bleiben des Jungen und fragte fast wie nebenbei: »Hast du noch etwas gesehen?«
»Klar, Mister, habe ich.«
»He, astrein. Wen denn?«
»Zwei andere Frauen und diesen Mann, der später tot war.«
Ich wollte nicht hoffen, dass es meinen Kollegen endgültig erwischt hatte, aber ich bekam große Ohren. In der folgenden Zeit musste ich dem Jungen ein großes Kompliment für seine Beobachtungsgabe machen, denn er beschrieb die beiden Frauen ziemlich detailgetreu. Mit ihnen hatten sich also drei Frauen in der Wohnung des Stan Shaw aufgehalten, die ich als seine potentiellen Feinde ansah.
»Gratuliere, mein Lieber. Du bist wirklich jemand, der später mal bei der Polizei anfangen kann.«
»Nie. Ich werde lieber Rennfahrer. Kartfahren kann ich schon.«
»Dann wünsche ich dir viel Gluck.«
Das Ehepaar Newman stand in der Nähe und hatte uns zugehört. Nach einem knappen Räuspern übernahm er das Wort. »Wissen Sie, Mister, wir kennen die Frauen nicht, von denen Woody gesprochen hat. Sie sind fremd hier in Oxbow.«
»Meinen Sie das namentlich oder haben Sie die beiden noch nie zuvor gesehen?«
»So ist es.«
»Aber sie müssen Kontakt zu dieser Café-Besitzerin gehabt haben«, sprach ich weiter.
Mrs. Newman versteifte sich. »Mit wem diese Dame Umgang pflegte, hat uns nie interessiert.« So wie sie sprach, schien sie die Frau nicht eben gemocht zu haben.
Ich sprang darauf an. »Dann war Sally Corner bei Ihnen nicht eben sehr beliebt?«
»Genau das.«
»Was hat sie getan?«
Mrs. Newman holte tief Luft, um vom Leder zu ziehen, aber ihr Mann war schneller. »Reiß dich zusammen, Ruth. Sally Corner hat dir nichts getan, das weißt du.« Er wandte sich an mich. »Einige hier im Ort waren sauer, weil sie einen anderen Weg gegangen ist. Die Frau ist manchem zu modern gewesen. So ein Laden passte nicht nach Oxbow. Und dann haben sich die Leute geärgert, dass das Geschäft trotzdem lief.« Er lachte. »So kann man sich irren.«
»Hör auf, Ernest.«
Newman lachte. »Ja, ja, ich weiß, dass du das nicht hören willst. Aber es ist eben so.«
Ich wollte nicht weiter fragen, um nicht noch mehr Emotionen hoch kommen zu lassen. Außerdem waren die Aussagen der Newmans der Sache nicht eben dienlich.
Ich bedankte mich trotzdem bei ihnen und wollte mich auch noch an Woody wenden, der jedoch hatte das Weite gesucht. Ich sah ihn über die Straße in die Richtung hupfen, aus der ich gekommen war.
Ruth Newman schien noch an den Dingen zu knacken. Das war ihrem Gesicht mit dem verbissenen Ausdruck anzusehen, und ich goss deshalb durch meine Frage noch mehr Öl ins Feuer.
»Können Sie sich vorstellen, was diese drei Frauen miteinander zu tun gehabt haben?«
»Aber sicher!«
»Ruth…«
»Nein, Ernest, nein. Jetzt rede ich. Du hast sie immer in Schutz genommen.« Sie wandte sich wieder an mich. »Es ist ganz einfach, Mister, ganz einfach. Diese verdammten Weiber haben irgendwas ausgekungelt. Es hat ja die Tote im Wald gegeben. Verbrannt auf einem Scheiterhaufen. Den oder die Mörder sucht man noch immer. Mehr will ich nicht sagen, den Rest können Sie sich denken.«
»Dann halten Sie die drei Frauen für Mörderinnen?«
»Nein, nein!« kreischte sie fast. »Das habe ich nicht gesagt. Aber ich stehe mit der Meinung nicht allein da. Sie können die anderen Leute hier fragen. Die werden Ihnen das Gleiche sagen. Das sind nur äußerlich Frauen. In Wirklichkeit sind es Hexen. So, das ist meine Meinung. Außerdem ist in ein paar Stunden Walpurgisnacht. Das sind doch die Stunden der Hexen - oder nicht?«
»Stimmt. Man sagt es…«
»Und ich weiß es!«, kreischte sie. »Da werden Weiber zu Hyänen!«, zitierte sie Schiller und streckte ihren rechten Zeigefinger in die Luft.
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