1268 - Shao, der Zombie und wir
sie auf der Jagd, das Böse zu stoppen.
Leicht war es für Shao nicht. Bevor sie den ersten Schritt ging, hatte sie das Gefühl, eine Mauer übersteigen zumüssen. Äußerlich erlebten die Frauen keine Veränderungen. Der Lehmkörper bewegte sich nicht vom Fleck, auch an seinem kleinen Kopf tat sich nichts. Wenn man sich an ihn gewöhnt hatte, verlor er einen Teil seines Schreckens, dann wirkte er beinahe schon lächerlich.
Shao wollte wissen, was hinter ihm steckte. Wieso konnte er existieren? Welch eine Macht steckte dahinter? War er das Produkt eines chinesischen Frankensteins?
Zu nahe wollte sie nicht an den Körper heran. Sie ließ schon einen gewissen Abstand zwischen sich und dieser Gestalt, aber sie streckte dann wie lockend den Arm nach vorn und wartete auf eine Reaktion.
Es passierte nichts.
Der Frauenarm hing auch weiterhin nach unten, und nicht mal die Finger hatten gezuckt.
Er hatte den ersten Test nicht bestanden. Shao dachte keinesfalls daran aufzugeben. Sie wollte ihm eine Reaktion entlocken, und schaute jetzt direkt in das faltige, kleine Gesicht hinein, dessen Haut der eines verschrumpelten Pfirsichs gleichkam.
Etwas störte sie an dem Gesicht. Nein, von einer direkten Störung konnte sie nicht sprechen, es war nur etwas vorhanden, das sie überraschte.
Es gab die Beine, den Arm, den Kopf mit dem Gesicht. Alles von einer Frau.
Bis auf den Kopf? Oder doch nicht?
Shao schob sich etwas näher heran, sie blickte genau hin, und ihr erster Verdacht bestätigte sich.
Dieser Kopf gehörte ebenfalls einer Frau. Er musste einer uralten Chinesin entfernt und mit dem Lehm verbunden worden sein. Sie erhielt zwar noch keine Aufklärung, aber allmählich kam schon Licht in das Dunkel. Hier hatte man ein weibliches Frankenstein-Monster erschaffen wollen. Es fehlte nur noch der rechte Arm.
Sie erzählte Li nichts von ihrer Entdeckung, und sie wusste auch nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht. Denn ein weiblicher Golem konnte ebenso gefährlich werden wie ein männlicher.
Shao ging einen Schritt zur Seite. Dabei nahm sie ihren Blick nicht von den schmalen Augen. Sie sah, dass sich die Augen bewegten und genau verfolgten, was sie tat. In den Augen und in der gesamten Gestalt steckte also Leben.
Sie holte tief Luft. Die entscheidende Situation stand dicht bevor. Shao dachte nicht mehr lange darüber nach, sondern sprach jetzt frei weg. »Kannst du reden?«
Das Gesicht bewegte sich nicht. Da öffnete sich kein Mund, da verdrehten sich auch nicht die Augen, aber es war trotzdem etwas zu hören. Ein leises Lachen drang Shao aus dieser Hülle entgegen.
Es klang abgehackt und war schnell wieder vorbei.
Sie lebt!, dachte Shao. Man hat es geschafft, ihr Leben einzuhauchen, wie auch immer.
»Warum sagst du nichts?« Shao hatte einfach das Gefühl, dass dieses Wesen eine Antwort geben würde. Es kam nur darauf an, die Basis des Vertrauens aufzubauen.
Und sie bekam ihre Antwort. Allerdings anders, als sie es sich vorgestellt hatte. »Du bist eine Göttin…«
Shao zuckte zusammen und glaubte, sich verhört zu haben. Sie war alles andere als eine Göttin, aber geirrt hatte sich das Wesen auch nicht, denn sie stammte tatsächlich aus der langen Ahnenkette der Sonnengöttin Amaterasu ab. Und genau das hatte dieses Wesen gemerkt. Denn Shao hatte ihr nichts zuvor gesagt.
»Nein, ich bin keine Göttin. Ich bin ein Mensch, verstehst du…«
»Ich spüre es.«
»Vielleicht habe ich noch etwas in mir, was sehr weit zurückliegt. Ja, das kann sein. Das hast du gespürt, aber ich bin als Mensch geboren und werde auch ein Mensch bleiben.«
»Geboren. Werden Götter geboren?«
»Ich wurde geboren.«
»Götter werden nicht geboren«, wiederholte sie.
»Dann bist du ein Göttin?«
»Ja, die bin ich. Ich bin eine Göttin. Man hat mich verehrt. Man hat den heiligen Lehm herbeigeschafft, und aus ihm hat man mich geformt. Man wollte wieder eine Göttin haben. Eine Frau, eine Königinmutter, die die Menschen verehren konnten…«
»Und hast du auch einen Namen?«
»Wong«, lautete die knappe Antwort.
Shao überlegte. Mit der Antwort konnte sie nicht viel anfangen. Es gab einfach zu viele Wongs und Wangs, aber hier hatte sie schon den Eindruck, darüber nicht hinweggehen zu können. Da musste der Name Wong eine besondere Vergangenheit haben.
»Wer ist Wong?« fragte sie.
Aus dem dünnen Mundspalt drang so etwas wie ein Kichern. »Meine Erschaffer haben den Namen Jacky Wong genommen. Sie wollten alle
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