1269 - Julie
auf so etwas?«, fragte sie.
»Ist das nicht… ich meine … das kann es nicht geben. Wenn jemand tot ist, dann ist er tot.«
»Klar«, sagte ich, »daran will ich auch nicht rütteln. Aber es gibt in diesen Zwischenbereichen schon Phänomene, die man ernst nehmen sollte.«
Ich zog Sina näher, weil sie zurückging. »Auf Einzelheiten werde ich nicht eingehen. Das wäre im Moment zu viel. Es bliebt bei der Frage, ob Julie im Heim eine Freundin gehabt hat, die als Kind starb?«
Da musste Sina Franklin nachdenken. Sie hob die Schultern, schaute zu Boden, nagte auch an ihrer Unterlippe und meinte schließlich: »Es ist vor kurzem ein Kind im Heim gestorben, aber das war kein Mädchen, sondern ein Junge. Er ist verunglückt. Ein betrunkener Autofahrer hat ihn überfahren. Mehr kann ich Ihnen zu diesem Thema leider auch nicht sagen, John.«
»Danke, das reicht schon.«
Für Sina Franklin reichte es nicht. »Bitte, es muss doch irgendwie weitergehen.«
»Das wird es auch, Sina. Wir werden schon das Nötige in die Wege leiten. Fest steht jedenfalls, dass zwei Gestalten Kontakt mit Julie aufgenommen haben. Zum einen Belial, zum anderen dieses Mädchen.«
»Wenn Sie das sagen, John, aber können Sie sich als Fachmann denn einen Reim darauf machen?«
»Nein, das kann ich eben nicht.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Ich akzeptiere es. Und nur Julie kann uns die Lösung bringen.«
Das Kind hatte zugehört, und ich wollte es wieder in das Gespräch mit einbinden. »Bitte, Julie, sag uns, ob du die Stimme des Mädchens erneut gehört hast?«
Für einen Moment schaute sie ins Leere. »Nein, das habe ich nicht. Sie war nur einmal da.«
»Also kann es weitergehen?«
»Wie?«
»Ganz einfach, Julie. Wir beide sind gegangen, und ich möchte dich fragen, wohin du wolltest.«
Sie hüstelte gegen ihren Handrücken. Dann bewegte sie den Kopf wie jemand, der etwas sucht.
Ich half ihr und fragte: »Wolltest du den alten Friedhof betreten? Hat der Engel das gewollt?«
»Ja, ich glaube schon«, erwiderte sie nach einer Weile des Nachdenkens.
»Er wollte, dass ich hier auf den Friedhof gehe.«
»Weißt du auch, was dann passieren wird?«
»Nein, noch nicht. Wahrscheinlich will er mich mitnehmen. Holen, verstehst du?«
»Natürlich verstehe ich das. Aber ich würde gern wissen, wohin er dich mitnehmen will.«
»Zu sich.«
Klar, die Antwort hatte auf der Hand gelegen. Sie war mir allerdings zu wenig, obwohl sie erschreckend war, denn von Belials Welt oder Reich zu sprechen, war schon brutal. Es war keine Welt für einen Menschen und erst recht keine für ein Kind.
Ich nahm wieder Julies Hand. Sie entzog sie mir nicht. »Weißt du was? Wir beide werden den Friedhof jetzt betreten und warten ab, was passiert.«
Zu meiner Überraschung stimmte sie zu. Sie schien für den Moment jedenfalls Belials Bann entflohen zu sein. Möglicherweise hatte ihn die andere Stimme auch irritiert, sodass er zunächst mal einiges richten musste, um zu seinem Plan zurückkehren zu können.
Sina Franklin stand neben uns und schüttelte den Kopf. »Bitte, ich möchte nicht mit auf den Friedhof. Ich warte hier.«
»Tun Sie das.«
»Und was ist, wenn der Lügenengel kommt?«
Ich schüttelte so überzeugt den Kopf, dass sie mir einfach glauben musste. »Er wird Ihnen nichts tun, Sina. Sie sind nicht sein Ziel. Es gibt nur Julie und mich.«
»Wobei er Sie ausschalten will, nicht wahr?«
»Das ist wahr. Aber ich habe auch meine Fähigkeiten, vertrauen Sie mir einfach.«
Sie blickte mich mit einem doch leicht skeptischen Gesichtsausdruck an, gab allerdings keinen Kommentar mehr ab und ließ mich gehen. Julie blickte nicht mehr zurück. Ich hielt weiterhin ihre Hand fest, die sie wie einen Schutz spüren sollte.
Sie betrat mit mir zusammen den Friedhof, und schon bald erreichten wir die ersten Grabsteine. Sie waren recht hoch. Wer immer sie angelegt hatte, er wollte klotzen und nicht kleckern. Das stellte ich fest, obwohl sie teilweise in den Boden eingesackt waren. Andere wiederum waren angehoben worden. Tote Denkmale, die daran erinnerten, dass unter der Erde die Menschen lagen, von denen höchstens Knochen oder Staub zurückgeblieben war.
Die beiden einsamen Bäume wuchsen rechts von uns. Sie wirkten wie zerschnittene Fahnen, deren Reste eingefroren waren und in eine bestimmte Richtung wiesen.
Ich sah nichts, was mich hätte erschrecken können, denn ich bewegte mich tatsächlich auf einem normalen Friedhof weiter, auf dem nur niemand
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