1269 - Julie
Ich glaube schon.«
»Dann lass uns gemeinsam gehen.« Ich streckte ihr die Hand hin, aber Julie wollte sich nicht anfassen lassen und schüttelte heftig den Kopf.
»Das hat doch keinen Sinn, John!«, rief Sina Franklin. »Sie machen sich unglücklich.«
»Nein, das glaube ich nicht. Keine Sorge, wir werden das Kind schon schaukeln.«
»Sie sind unverbesserlich.«
»Kann sein.«
»Soll ich denn mit Ihnen gehen?«
»Nein, Sie bleiben hier in der Nähe. Sie haben eine Begegnung mit Belial überstanden. Jetzt soll er sich um mich kümmern, wenn er etwas will. Ich kenne ihn besser.«
»Sie werden mir immer unheimlicher, John.«
»Ach, das täuscht.«
Julie Wilson hatte nicht auf unser Gerede geachtet. Sie war bereits vorgegangen und hatte sich einige Meter von mir entfernt. Ich ging deshalb etwas schneller, um an ihre Seite zu gelangen und achtete dabei besonders auf die Umgebung.
Hatte sie sich verändert?
Äußerlich nicht, denn da war sie wirklich die gleiche geblieben. Aber es gab trotzdem eine Veränderung, die ich sehr genau spürte. Ich hatte den Eindruck, eine kältere Luft zu erleben. Nur war es keine Kälte, wie man sie im Winter spürt, sondern eine, die aus einer anderen Welt auf mich abstrahlte, und die war mir ebenfalls nicht unbekannt. Ich rechnete damit, mich an der Schnittstelle zwischen den Dimensionen aufzuhalten.
Zum einen in meiner Welt und zum anderen in der des Belial, nicht unbedingt einer Welt der Engel, in die vor kurzem die blonde Bestie und Vampirin Justine Cavallo hatte eindringen wollen, um aus den Engeln, die in dieser Dimension lebten, Blutsauger zu machen. Die existierten wiederum in einer anderen Dimension.
Der Engel der Lügen war mächtiger, viel mächtiger. Er gehörte an die Spitze, nur eben auf der Seite der Hölle, der Finsternis und des obersten Herrschers Luzifer.
Menschen waren für sie nichts anderes als Spielbälle. Dazu zählten nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder wie ich es hier bei Julie erlebte.
Ich konnte ihr auch keinen Vorwurf machen, denn sie wusste nicht, was sie tat. Sie war in die Faszination des Belial hineingeraten, und das hätte auch jedem normalen Erwachsenen passieren können. Dafür gab es genügend Beispiele.
Sie ging nicht schnell, aber sie behielt stets das gleiche Tempo bei.
Die alten Grabsteine rückten näher, und jetzt sah ich auch, wie schief sie tatsächlich standen. Das Hochwasser musste viel Erde unterspült haben.
Seiner Kraft war es gelungen, das schwere Gestein in die Höhe zu hieven und in eine andere Lage zu bringen. Selbst die beiden verkrüppelten Bäume an der rechten Friedhofsseite sahen aus, als würde der nächste Sturm sie zu Boden fegen.
Es gab keine Mauer und auch kein Gitter, das uns aufgehalten hätte.
Jeder konnte den ehemaligen Friedhof normal betreten, und auch zwischen den Grabsteinen war noch genügend Platz. Manchmal sogar so viel, dass selbst der Rover hindurchgepasst hätte.
Wir unterhielten uns nicht. Ich hörte Julie heftiger atmen und konnte mir vorstellen, dass sie wieder einen intensiveren Kontakt mit dem Lügenengel erlebte.
»Spürst du ihn schon?«
»Er ist immer da.«
»Pardon, ich vergaß.«
Sie lachte leise und stampfte auch weiterhin neben mir her. Kein Blick nach rechts, keiner nach links, ihr Augenmerk war nur auf den alten Friedhof gerichtet.
Plötzlich blieb sie stehen. Wäre sie noch drei Schritte weitergegangen, hätte sie das Areal erreicht. So aber hielt sie an und schüttelte etwas verwundert den Kopf.
Genau das wunderte mich auch. Ich konnte aber nicht erkennen, was sie irritierte.
»Julie, was ist mit dir?«
Sie gab mir keine Erklärung, aber sie tat etwas, was mich nachdenklich machte. Sie hob den Kopf an und schaute dabei in die Runde, als gäbe es etwas Besonderes zu entdecken.
Wenn sie so sah wie ich, dann sah sie nichts, denn auch Belial zeigte sich nicht.
Ich ging in die Knie, um mit ihr auf gleicher Höhe zu sein. Da schaute ich in ihr Gesicht. Diesmal war der Ausdruck ein anderer geworden. In der Dunkelheit hatte das Gesicht einen fast schon violetten Schatten erhalten, die Augen sahen trüber aus als sonst, und auch ihre Augenbrauen hatten sich zusammengezogen.
»Bitte, Julie, du musst mir sagen, was mit dir los ist. Spürst du Belial jetzt in deiner Nähe?«
»Nein…«
Mein Gott, die Stimme hatte einen jämmerlichen Klang bekommen. Julie musste wirklich leiden.
Ich fasste sie an den Handgelenken an. Sie ließ es geschehen. Ihre Haut kam mir
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