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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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weißhaarigen Mannes versichern. Sie verstärkte den Gedankendruck auf ihr Zielobjekt. Rulfan hieß er. Seit Est’sil’aunaaras Präparierung stand er unter latenter Kontrolle.
    Die Verseuchung durch daa’murische Viren ermöglichte es, jederzeit wieder Besitz von seinem Geist zu nehmen.
    Sie entließ die Frau, die sich Gittis Attenau nannte, aus der Permanentkontrolle und blockierte gezielt Teile ihres Erinnerungsvermögens. Sie würde in ihre Heimatstadt zurückkehren, ohne von ihrem Aufenthalt auf der Insel Britana zu wissen.
    Es war nicht zielführend, ihr den Befehl zur Selbstneutralisierung einzupflanzen. Möglicherweise würden ihre Dienste in jener Ansiedlung namens Coellen noch einmal benötigt…
    Gu’hal’oori leckte mit ihrer langen Zunge über das Fell, das sie ausgebildet hatte. Sie hatte sich die Verhaltensmuster wilder Lupas in tagelangen Studien eingeprägt. Auch die Erwartungshaltung Rulfans an seinen ehemaligen primitiven Begleiter war Ziel mehrerer Trainingstage in Marienthal gewesen. Sie musste Wulf ausreichend gut imitieren können, um eine Vielzahl von feindlichen Primärrassenvertretern täuschen zu können.
    Gu’hal’oori hatte sich seit ihrer körperlichen Erweckung am Kratersee ausgiebig mit der Psyche der Menschen befasst, wie die Primärrasse sich selbst nannte. Verstehst du deinen Feind, ist dein Sieg fast schon errungen, war das Credo, dem sie folgte. Auch wenn ihr manche Regungen dieser merkwürdigen Wesen für immer ein Rätsel bleiben würden, aus einer gewissen Sicht waren sie interessant. Sie wollte – neben dem Auftrag, den man ihr gegeben hatte – auch lernen.
    Aktion erzeugt Reaktion, dachte Gu’hal’oori und imitierte ein leises Winseln. Sofort besaß sie Rulfans ungeteilte Aufmerksamkeit. Er streichelte ihr Bauchfell mit widerlicher Hingabe, ohne dass sie ihm den Gedanken dazu hatte einpflanzen müssen.
    Es war wirklich ein Kinderspiel.
    ***
    Der Morgen war kalt und feucht, der Boden gefroren. Gittis Attenau hatte sich formlos verabschiedet und war gemeinsam mit ihrem bärtigen Begleiter in den jahreszeitüblichen Nebeln verschwunden.
    Rulfan gähnte und pinkelte das kleine Feuer aus, das ihnen in der Nacht weniger Wärme als vielmehr Schutz vor ungebetenem Getier geboten hatte.
    Eve Neuf-Deville sah pikiert zur Seite. Rulfan musste grinsen. Die Bunkerfrau war an vielerlei Sitten nicht gewöhnt, die er sich bei den Barbaren angeeignet hatte.
    Den so genannten Barbaren. Rulfan hatte naturgemäß eine ganz andere Einstellung zu ihnen als die Bunkermenschen.
    Aber zu wem gehörte er eigentlich?
    Diese Frage hatte ihn Zeit seines Lebens beschäftigt. Mehr als drei Viertel davon hatte er bislang mit den Wandernden Stämmen oder in Coellen verbracht. Oftmals ruhelos, meist ohne Ziel.
    Der Vater, ein eleganter und eloquenter Mann, hatte ihm die Sitten der Bunkermenschen vermittelt und seinen Verstand trainiert. Seine Mutter, jene blauäugige, vor ihrer Zeit gealterte Frau mit einem unbeirrbaren Instinkt, in hemmungsloser Leidenschaft und unglaublicher Hingabe seinem Vater verbunden, hatte ihn in frühester Jugend auf das Leben in der Wildnis vorbereitet. Als er vier Sommer zählte, hatte sie ihn allein gegen zwei wilde Wakudas verteidigt und dabei fürchterliche Wunden davongetragen. Sie hatte… ach, was sollte das viele Nachdenken! Eines Tages, wenn er die Zeit und Ruhe dafür fand, würde er sie suchen.
    Eines Tages…
    »Sentimentale Tagträume?«, fragte Eve.
    Verdammt – wieso durchschaute sie ihn stets?
    »Ich dachte an meine Mutter«, gab Rulfan zu und bemühte sich, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. »Ich habe nicht mehr viele Erinnerungen an sie. Nur ein paar Gedanken. Ein Film, aufgenommen im Bunker von Salisbury. Kurze, wahrscheinlich verklärte Eindrücke von einer großen dunkelhaarigen Frau…«
    Rulfan merkte, dass er drauf und dran war, ganz persönliche Geheimnisse preiszugeben, brach ab und drehte sich zur Feuerstelle, um einen letzten dünnen Urinstrahl in die nasse Asche zu setzen. Mit nicht geringer Schadenfreude registrierte er, dass sich Eve schaudernd abwandte.
    Zehn Minuten später flog Rulfan das X-Quad mit mäßiger Geschwindigkeit zurück nach London. Der größte Teil seiner Konzentration galt Wulf, der stets rechts von ihnen durch Wälder, Unterholz und Wiesen hetzte. Mit weiten, ausdauernden Sprüngen folgte er dem Gefährt, das er noch nicht kannte, und zeigte dabei keinerlei Angst oder Respekt.
    Die Muskeln spannten und

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