128 - Der Schläfer
»Rulfan!«
Dann erschien abrupt ein erschöpftes Lächeln auf ihrem Gesicht. »Es freut mich, dass ich dich gefunden habe!«
***
Gittis von Coellen hatte sich einem kleinen Händlerzug angeschlossen, der dem gefährlichen Weg von Dovaa nach London folgte. Zwei bezahlte Wächter boten den dickwanstigen Krämern und der Frau ein fragwürdiges Gefühl der Sicherheit.
Jetzt saßen sie bei einem Lagerfeuer zusammen. Eve Neuf-Deville kochte Tee und Gittis Attenau erzählte.
»… du hast den ganzen weiten Weg durch Doyzland und Fraace auf dich genommen, um mir Wulf zu bringen?«, fragte Rulfan.
Gittis lächelte. Sie war gealtert, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Tiefe Falten hatten sich in ihr breites, aber apartes Gesicht gegraben. »Ich habe einen Schiffstransport angeführt, der von Coellen den Rhein flussaufwärts fuhr. Honnes hat mich gebeten, dir nach dem Ende der Handelsreise Wulf zurück zu bringen.«
Honnes, ja… Rulfan überlegt. Irgendetwas war mit Honnes gewesen bei ihrer letzten Begegnung…
»Er dankt dir, dass du ihm Wulf für seine eigene Lupazucht ein paar Monde ausgeliehen hast«, fuhr Gittis fort.
Richtig, die Zucht! Das war der Grund! Oder?
Rulfan glaubte sich erinnern zu können – und zweifelte gleichzeitig daran. Aber dann verdrängte er die verwirrenden Gedanken. Wulf war zurück, und nur das zählte.
Eve, die ihm den rasanten Flug durch das Londoner Hinterland anscheinend noch nicht ganz verziehen hatte, stellte ihm eine Tasse Brennnessel-Tee vor die Füße. Er hatte momentan weder Zeit noch Muße, sich mit der spröden Frau zu beschäftigen. Es gab Wichtigeres…
»Wir haben Wulf mit den vielversprechendsten Lupa-Weibchen gepaart«, fuhr Gittis fort. »Wenn alles gut geht, können wir seinen Nachwuchs bereits nächstes Jahr als Spürer entlang des Rheins einsetzen und so hoffentlich das Einsickern von Daa’muren verhindern.«
Rulfan nickte. Es stimmte: Die genetischen Anlagen des mutierten Wolfs waren ausgezeichnet und empfahlen sich zur Nachzucht. Honnes’ Idee, eine Lupa-Staffel entlang des Rheins aufzuziehen, war eine brillante Idee.
Warum nur fühlte er tief in sich drinnen, dass irgendetwas daran falsch war…?
***
Eve Neuf-Deville beobachtete Gittis Attenau unauffällig. Dass die Frau gerade jetzt in Britana auftauchte, nur um den Lupa zurück zu bringen, schien ihr verdächtig.
Es gab bislang nur wenige Ansatzpunkte, anhand derer man einen Daa’muren erkennen konnte. Nach den Beobachtungen von Commander Drax waren die Außerirdischen Gestaltwandler, die menschliche Form annehmen konnten. Die Barbarin Aunaara war der schlagende Beweis dafür – niemand in London hatte gemerkt, dass sie kein Mensch war, sondern in Wahrheit ein silberschuppiges Echsenwesen.
Auch Gittis Attenau wirkte auf den ersten Blick wie ein normaler Mensch. Aber ihre Emotionen… sie kamen manchmal merkwürdig zeitverschoben. Als ob sie nachdenken müsste, wie sie reagieren sollte. Doch das war möglicherweise auf die Erschöpfung der langen Reise zurückzuführen.
Um sicher zu gehen, blieb wohl nur eine Möglichkeit: Eve musste die Frau betäuben und sie gründlich untersuchen. Sie seufzte still in sich hinein. Das würde Rulfan ganz und gar nicht gefallen…
»Wie lange willst du in Britana bleiben?«, fragte ihr Begleiter in diesem Moment. »Du kannst die Annehmlichkeiten von Salisbury genießen, so lange du willst.«
»Ich weiß dein Angebot zu schätzen«, entgegnete Gittis; lächelnd, »aber ich möchte so rasch wie möglich zurück. Ich habe meine Begleiter vor mehr als einer Woche in Rostendaam verlassen. Ich werde hier übernachten und mich morgen früh gleich wieder auf den Heimweg machen.«
Nun – das kam überraschend! Ein Daa’mure hätte das Angebot, in einen Bunker einzuziehen, wohl kaum abgelehnt.
Nachdenklich zündete Eve eine Zigarette an und inhalierte tief. Ihr Verdacht hatte sich nicht bestätigt. Gut so.
Die Händler machten Anstalten, weiter in Richtung London zu ziehen. Rulfan warb den bärtigen Schwertträger den Krämern ab. Er sollte Gittis wieder sicher zurück nach Dovaa bringen.
***
Der weibliche Primärrassenvertreter namens Eve stellte eine Gefahrenquelle dar. Sie dachte und handelte offensichtlich emotionsloser – und damit zielgerichteter – als die meisten ihrer Artgenossen. Gu’hal’oori würde sie im Auge behalten müssen. Eine Beeinflussung zu gegebener Zeit würde das Problem lösen.
Doch zuerst musste sie sich der Zuverlässigkeit des
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