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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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fast auf Kopfhöhe der Ankommenden, glitt frontal auf sie zu. Er krächzte laut. Die rasante Kamerafahrt erzeugte einen Hauch von Übelkeit in Rulfans Magen. Doch er konzentrierte sich auf die Frau.
    Groß, blond, stolzer aufrechter Gang…
    »Stopp!«, rief er der Queen zu. »Ich kenne sie!«
    Die Aufzeichnung lief für mehrere Sekunden weiter, der Kolk stieß wieder steil in die Höhe und man sah nichts als trüben Himmel, bis Viktoria den Rückspulmechanismus aktiviert hatte. Sie ließ die Aufnahmen so lange zurücklaufen, bis die Frau in bestmöglicher Auflösung erkennbar war.
    »Kein Zweifel!«, stieß Rulfan hervor. »Das ist Gittis Attenau, die Frau von Harris aus Coellen! Was, bei Wudan, sucht sie hier?«
    »Das kann ich Ihnen gleich zeigen«, entgegnete die Queen und ließ die Aufzeichnung weiterlaufen.
    Der Kolk flog erneut steil hoch, wendete und konzentrierte sich schließlich wieder auf den Segler. Mit geringer Geschwindigkeit flog er nun über das Schiff hinweg.
    Gittis drehte sich um und stieß einen schrillen Pfiff aus.
    Eine weiße Fläche, die Rulfan zuvor für einen Ballen Segeltuch gehalten hatte, bewegte sich plötzlich, löste sich vom Deck und trabte vorsichtig über die Planke auf den Pier.
    »Wulf! Sie bringt mir Wulf! Er ist zurück!«
    Und entgegen jeglicher Etikette umarmte, küsste und herzte Rulfan die überraschte Königin.
    ***
    Rulfan packte Eve Neuf-Deville und zog sie hastig mit sich.
    »Was ist denn in dich gefah-«
    »Keine Zeit für lange Erklärungen!«, unterbrach er sie, »Wir machen einen Ausflug. Wir müssen jemanden abholen!«
    Er grüßte achtlos nach links und rechts. Sein Herz tat wahre Sprünge; so gut hatte er sich seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt. Er zerrte die schwach protestierende Eve durch die Dekontaminationskammer und missachtete damit alle Sicherheitsbestimmungen. Doch was scherte ihn das!
    Wulf war zurück! Sein treuer Begleiter, der weiße Lupa.
    Umständlich schob Rulfan das X-Quad aus dem Ladedock.
    Wie beiläufig hob er Eve auf den Beifahrersitz und fuhr den Magnetfeldantrieb hoch. Noch bevor er die vorgeschriebene Flughöhe erreicht hatte, schoss er davon, durch die City of Westminster, die nach und nach das Gesicht einer richtigen Stadt erhielt. Hinab ging es zur Themse, vorbei an einer scheinbar träge lauernden Kwötschi-Kolonie. Ein halbes Dutzend langer blutroter Zungen schnappte nach ihnen, doch Rulfan lachte nur.
    »Bist du nicht bei Sinnen?«, rief Eve hinter ihm zornig.
    »Wenn wir lebend ankommen sollen, benutze gefälligst dein bisschen Verstand! Diese Viecher sind gefährlich!«
    »Oh, der Eisblock zeigt Emotionen?«, spottete Rulfan. »Das ist ja ganz was Neues! Nur keine Angst, ich habe alles unter Kontrolle!«
    Eve sah ein, dass mit ihm nicht zu reden war. Also schwieg sie und klammerte sich an ihm fest.
    Er flog weiter hinaus auf die menschenleere Themse. Trotz der Mittagsstunden mischten sich erste Schneeflocken unter den einsetzenden Regen. Die Winterstürme waren näher als Rulfan angenommen hatte, doch was scherten ihn Wind, Sturm und Kälte? Wulf war zurück!
    ***
    Nach zwei Stunden hatten sie die Ruinenfelder jener Stadt erreicht, die einstmals Canterbury geheißen hatte und heute nur noch Tausendschaften von Ratzen Unterkunft bot. Und dort…
    »Wulf!« Rulfan bremste mit aller Gewalt, sprang vom X-Quad, rollte sich über die Schulter ab und kam direkt vor dem Lupa zum Stillstand.
    Ein Knurren ertönte aus einem geöffneten Maul mit zwei Reihen scharfer Reißzähne. Es dauerte einen Moment, bis Wulf seinen Freund und Herrn erkannte und die Abwehrhaltung aufgab.
    Rulfan lachte und sprang auf die Beine. »Was ist los, alter Herumtreiber?!«, lachte er. »Hast du etwa meinen Geruch vergessen? Komm schon, hoch mit dir!«
    Er zog den Lupa an den Vordertatzen zu sich hoch, legte beide Läufe auf seine Schultern und sah dem großen Tier direkt in die Augen. Er griff dem Lupa spielerisch ins Maul, ließ sich beißen, kraulte ihn hinter den Ohren und erlaubte es schließlich, dass Wulf ihn sanft im Nacken packte und zu Boden zog, wo sie sich balgten.
    Erst das Geräusch eines Schwertes, das deutlich hörbar aus seiner Scheide gezogen wurde, holte Rulfan in die Wirklichkeit zurück.
    »Schon gut, Mann!«, rief er einem grimmig dreinschauenden Bartträger zu, der die Szene misstrauisch betrachtete. »Es ist alles in Ordnung!«
    Eine Frau näherte sich: Gittis Attenau. Sie sah ihn an, erschrocken und verwirrt – bis sie ihn erkannte.

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