128 - Der Schläfer
streckten sich unter dem weißen Fell, das, der Jahreszeit angepasst, dichter und fester war als in den Sommermonaten. Ein leichter Grauschimmer, fast in Form eines Musters, durchzog den Winterpelz.
»Ein wirklich prachtvolles Tier«, meinte selbst die so nüchterne Eve. »Eines Tages musst du mir erzählen, wie du Wulf gebändigt hast.«
»Eines Tages, ja«, entgegnete Rulfan zerstreut. Seltsam.
Etwas störte ihn am Verhalten des Lupa. Was war es nur?
Eine Erinnerung tauchte aus den Tiefen seines Unterbewusstseins. Hatte er Wulf nicht darauf trainiert, sich links von ihm zu halten? Die Rechte war seine Schwert- und Schusshand; den Schutz des Lupa benötigte er vordringlich auf der anderen Seite.
Doch der Gedanke verschwand, kaum dass er ihn gefasst hatte. Was sollten diese dauernden Zweifel? Wulf war wieder da, und das war ausreichend Grund zur Freude.
Er warf einen Blick auf die Anzeigen, als dort ein rotes Lämpchen zu blinken begann.
»Wir müssen zuerst zurück nach London in die Ladedocks«, rief er Eve zu. »Die Energieträger des Quad sind fast leer.«
»Ich nehme an, du willst dich nicht allzu lange dort aufhalten?«
»Nicht länger als nötig. Schließlich wartet in Salisbury Arbeit auf uns!«
***
Am nächsten Morgen
Das Leben im Bunker hatte ihn wieder.
Endlos lange Gänge. Klassische Musik, hundertfach gehört, die direkt aus den Wänden tönte. Bilder und Filme aus den Archiven, da und dort hin projiziert, um das Gefühl von Weite und unberührter Natur zu vermitteln. Aseptischer Geruch.
Leiser Hall bei jedem Schritt. Nüchternheit in den eigenen vier Wänden, Nüchternheit in den Versammlungsräumen.
Oh, wie er das alles hasste!
Wulf blieb bemerkenswert ruhig. Er hatte sich in eine Ecke verkrochen und sah interessiert umher. Dabei war der Lupa noch nie gut mit der klaustrophobischen Enge der Community-Räumlichkeiten zurecht gekommen.
Es klopfte. Rulfan öffnete die schwere Tür mit einem Ruck.
Eve. Sie war in ihre schlichte graue Uniform gehüllt, die sie bei offiziellen Anlässen zu tragen hatte.
»Die Octaviane warten«, sagte sie anstelle eines Grußes.
»Bist du vorbereitet?«
»Ja, so weit es nur geht«, erwiderte Rulfan. Er pfiff, und Wulf folgte ihm. Er versiegelte sein Zimmer mit einem sechsstelligen Code. Dem Zeremoniell zum Trotz hatte er die Wildlederstiefel, eine speckig glänzende Lederhose und ein schreiend rotes Hemd angezogen.
Wortlos ging er voraus. Eve kam hinter ihm her. Wulfs Krallen, die weit aus den breiten und weichen Pfoten hervorstachen, erzeugten ein klackerndes, regelmäßiges Geräusch.
Links, rechts, Treppe hinab, geradeaus, links, links. Kaum ein Mensch begegnete ihnen. Eine merkwürdige Stimmung hatte sich Rulfans bemächtigt. Er kam sich vor wie ein wandelnder Toter, begraben unter Millionen Tonnen Erde, Stahl und Beton.
Der Versammlungsraum.
Natürlich eng und zweckmäßig ausgestattet. Die Körperausdünstungen der nunmehr elf Anwesenden wurden von der Klimaanlage nicht gänzlich getilgt; es roch streng.
»Lords und Ladies«, begrüßte er die Octaviane und nickte seinem Vater kurz zu. Dann setzte er sich auf einen der beiden freien Plätze. Wulf blieb hinter ihm und rollte sich mühselig in einer kleinen Nische zusammen.
»Wie Sie alle wissen, hat uns London beauftragt, den Stirnreif der Daa’muren weiter zu untersuchen«, kam Rulfan sofort auf den Punkt. »Die Koordination des Forschungsprojekts wurde mir übertragen und ich bitte Sie, in diesem Fall eng mit mir zusammen zu arbeiten.«
»Ich empfinde die herablassende Art der Londoner Community als eine ziemliche Frechheit!«, fiel ihm Major General Michael Duncan ins Wort. »Unsere wissenschaftlichen Kapazitäten sind mehr als begrenzt.«
Was er diesen Kerl hasste! Seit mehr als vierzig Jahren saß er bereits im Octaviat, feist wie eine Rasselqualle – und genau so giftig und schlüpfrig. »Seven« – so sein Spitzname –, stand für alles, was er im und am Bunker verabscheute. Rulfan konnte sich nicht vorstellen, dass der Octavian den Bau seit der Erzeugung des Immunitätsserums für mehr als eine Stunde verlassen hatte. Wenn es nach ihm ginge, würde sich die Community nicht um das Oben scheren und nach wie vor eine in sich geschlossene Gesellschaft bilden. Rulfan konnte ihm nur zugute halten, dass er der Bunkergemeinschaft als solches in absoluter Loyalität diente.
»In Zeiten wie diesen muss jeder von uns außerordentliche Bürden auf sich nehmen«, entgegnete er, äußerlich
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