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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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sagte sie mit jener Bestimmtheit, die Rulfan an der Frau so sehr bewunderte.
    »Und warum bist du dir da so sicher?«
    »Weil wir Menschen sind.«
    Sie schwieg, als hätte sie damit alles gesagt. Und offensichtlich hatte sie das auch.
    Doch es war nicht die Zeit, lange über Eves Ansichten nachzudenken. Die Zeremonie fand ein Ende. Leiser, britisch-unterkühlter Applaus setzte ein. Die Menschen, die Honoratioren und Octaviane des Londoner Bunkers lösten sich aus der starren Etikette und fanden sich in kleinen Gruppen zum Smalltalk.
    Sir Leonard näherte sich Rulfan. Seine dunklen Augen leuchteten auf, als er ihm einen Arm auf die linke Schulter legte. »Freut mich, Junge!«, sagte er leise.
    Rulfan drückte seinen Unterarm und zog den alten Mann an sich. Jedes Mal, wenn sie voneinander Abschied nahmen, taten sie es mit dem Gedanken, dass es die letzte Umarmung, der letzte Gruß gewesen sein könnte. Umso erleichterter und herzlicher gestalteten sich dann die Wiedersehen.
    Leonard Gabriel war ein Mann von bemerkenswerter Präsenz und scharfem Verstand. Seine Courage, die Konsequenzen seines Handelns stets mit erhobenem Haupt zu tragen, war unübertroffen. Er hatte es gewagt, mit einer Barbarin auf einem seiner Ausflüge auf den europäischen Kontinent ein Kind zu zeugen. Damals, als es das Immunisierungsserum noch nicht gegeben hatte und das bloße Öffnen des Schutzanzuges außerhalb eines Bunkers einem Todesurteil gleichkam. Sir Leonard hatte überlebt, und heute war er Prime der Bunkergemeinschaft von Salisbury.
    General Emily Priden nickte Rulfan kurz zu. Rulfan mochte die zarte und doch so willensstarke Frau an der Seite seines Vaters. Die beiden pflegten ein intimes Verhältnis, von dem eigentlich jedermann wusste. Sie war zwar mit Sir Jefferson Winter aus London verheiratet, doch existierte die Ehe lediglich auf dem Papier. »Staatsraison«, hatte Sir Leonard einmal knapp auf eine Frage Rulfans nach dem Warum dieser Ehe geantwortet.
    Rulfan gab seinem Vater einen ausführlicheren Bericht über die Fortschritte bei der Befriedung der Stämme. Sir Leonard nahm die guten Nachrichten ohne besondere Erleichterung zur Kenntnis. Seine Gedanken weilten wohl bei den Vorgängen in Asien. Dort, am Rande des Kratersees, würde sich ihrer aller Schicksal entscheiden.
    »Die Queen wartet«, flüsterte Emily Priden ihnen zu. Rulfan hob den Blick. In der Tat – es war wohl an der Zeit, sich dem wahren Grund ihres Hierseins zu widmen.
    »Also: Warum wollte Victoria uns mit dabei haben?«, fragte er seinen Vater, während sie sich gemessenen Schrittes der Königin näherten. Eve Neuf-Deville folgte wie ein Schatten.
    »Sie tat sehr geheimnisvoll, als sie mit Salisbury Kontakt aufnahm«, erwiderte Sir Leonard. »So weit ich weiß, soll es unter anderem um dieses merkwürdige Diadem der Daa’muren gehen, das Commander Drax aus Russland mitgebracht hat.«
    Das Diadem… Es handelte sich um einen glatten, silbern schimmernden Kopfreif, der sich auf der Vorderseite leicht verbreiterte. Dort befand sich eingefasst ein grüner Kristallsplitter, der zweifelsfrei daa’murischer Herkunft war.
    Aruula war die Erste gewesen, die das merkwürdige Ding über den Kopf gestreift hatte. Mit einfachen Worten hatte sie die Wirkung des Kristalls mit der ihres Lauschsinns verglichen – nur beidseitig wirkend. Das hieß, dass sie glaubte, mittels des Diadems Gedanken empfangen und senden zu können.
    »Das ist alles?«,entfuhr es Rulfan. »Nur wegen eines daa’murischen Relikts haben wir alles stehen und liegen lassen?«
    »Nicht so laut, du Narr!« Sir Leonard zog seinen Sohn mit sich. »Willst du die Queen in aller Öffentlichkeit kritisieren? –Nein, es geht sicherlich um mehr als das. Victoria hat darauf bestanden, dass du mich hierher begleitest.« Er straffte seinen noch immer imponierenden Körper und tat die letzten paar Schritte auf die Königin zu. »Majestät – es ist mir immer wieder ein Vergnügen!«
    Er beugte sich hinab, hauchte einen Kuss auf ihre ausgestreckte Hand und lächelte die junge Frau mit jenem Charme an, der ihn in den Damenkreisen der Bunker von London und Salisbury sehr beliebt gemacht hatte. Dave an ihrer Seite hingegen nickte er lediglich knapp zu.
    »Mir ebenfalls, Sir Leonard«, erwiderte Victoria freundlich.
    »Ihre Galanterien können ein Mädchen ganz schön in Verlegenheit bringen. Wenn ich nicht wüsste, dass die Gemeinschaft in Salisbury ihre einzig große Liebe ist, würde ich meinen, dass sie mir

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