128 - Der Schläfer
größer.
»Meinen Sie denn tatsächlich, dass sich diese merkwürdigen Fischwesen mit dem telepathischen Zeugs auskennen?«, fragte General Yoshiro, der Londoner Octavian für Verteidigung und Stabschef der Queen mit gewohnt schriller Stimme.
»Bei allem Respekt, Charles«, entgegnete Sir Leonard kalt, »bei den so genannten ›Fischwesen‹ handelt es sich um eine Spezies, die uns in vielerlei Hinsicht weit voraus ist. Unter anderem in moralischer Hinsicht. Ich denke, dass Sie Ihre Ansichten überdenken sollten. Schließlich reden wir von einem wertvollen Verbündeten der Allianz.«
»Ein Volk, dass es vorzieht, Jahrtausende lang unerkannt in den Tiefen der Ozeane vor sich hin zu dümpeln, statt mit uns Kontakt aufzunehmen, erscheint mir wohl zu Recht etwas suspekt. Wir haben doch keine Ahnung, was die Fischmäuler tatsächlich vorhaben…«
»General!«, fiel ihm die Queen energisch ins Wort. »Ich dulde keine weiteren Desavouierungen unserer Verbündeten. Die Hydriten haben sich in der kurzen Zeit unserer Zusammenarbeit als absolut integer erwiesen, und ich finde, dass der Vorschlag von Sir Leonard ausgezeichnet ist.«
Victoria dachte kurz nach und sagte schließlich: »Ich bitte also die Community Salisbury, sich vorerst um das Diadem zu kümmern. Materialerforschung, Versuche über mögliche Einflussnahme vermittels des eingearbeiteten Kristalls, Strahlfrequenzuntersuchungen und so weiter.« Sie blickte dem Prime von Salisbury tief in die Augen. »Und sobald Matthew Drax von seiner Mission im Norden unseres Landes zurück ist, werde ich ihn bitten, Kontakt mit den Hydriten aufzunehmen.«
»Weil wir gerade bei Freund Maddrax sind«, unterbrach Rulfan, »hat man von ihm und seinen Freunden schon etwas gehört?«
Die Queen sah betreten zu Boden. »Leider nein. Er und sein Team sind nach wie vor verschollen.« Kurz sah es so aus, als würde sich die so selbstsicher wirkende Monarchin in ein kleines Mädchen verwandeln. Doch der Moment verging, und mit der von ihr so gewohnten inneren Kraft verkündete sie: »Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Matt ist wie eine Taratze, die immer wieder auf Beine fällt.«
Diverse E-Butler schwirrten mit einem Mal durch den kleinen Saal und verteilten Sandwiches, Snacks und Getränke an die kleine Gesellschaft.
Rulfan hatte noch nie etwas mit diesen elektronischen Dienern anfangen können. Die meisten von ihnen waren abstruse Zerrbilder, die auf ein verkrüppeltes Seelenleben ihrer Besitzer schließen ließen. Oder wie sollte man sonst die Existenz von Gestalten wie Micky Maus oder Herkules interpretieren?
»Es stinkt mir hier!«, flüsterte Rulfan Eve Neuf-Deville zu.
»Das alles hätte mir Vater auch über Funk berichten können. Ich verstehe nicht, was wir hier eigentlich sollen.«
»Nur die Ruhe«, entgegnete Eve. »Die Queen ist noch nicht fertig.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ihre Körpersprache verrät sie.« Eve griff nach einem Sandwich und biss herzhaft hinein. »Victoria ist nervös – sieh nur, wie sie unruhig mit ihrem Stift spielt. Und andauernd blickt sie zu deinem Vater und dir. Sie hat uns noch etwas Wichtiges mitzuteilen. Sie vermag zwar nach außen hin Selbstsicherheit auszustrahlen. In Wirklichkeit ist sie jedoch eine unerfahrene, oft überforderte junge Frau. Deswegen tut ihr auch das intime Verhältnis zu Dave McKenzie so gut. Nach der Enttäuschung, die sie mit Matthew Drax erlitten hat, ist das durchaus wünschenswert.«
»Wie kann man nur so herzlos über eine Liebesbeziehung reden?«
Eve zündete sich eine Zigarette an. »Als Psychotherapeutin bewerte ich Emotionen in erster Linie nach Nutzen und Zweck.«
»Auch bei dir selbst?«
»Da in besonderem Maße«, entgegnete sie ernst.
»Schließlich muss ich jederzeit meine Objektivität bewahren können. Was wäre meine Meinung denn wert, wenn sie von Gefühlen geleitet würde?«
»Mit diesen Ansichten kannst du einem nur Leid tun!«, seufzte Rulfan. Sein Kopf begann erneut zu schmerzen. Er wischte sich mit einem Ärmel Schweiß von der Stirn.
»Ich darf noch einmal um Aufmerksamkeit bitten«, sagte die Queen plötzlich, und augenblicklich verstummten alle Gespräche. Victoria stand auf. »Die derzeit bestehende Allianz ist ein fragiles Gebilde. Sie fußt auf der Furcht vor dem extraterrestrischen Feind – und auf gegenseitigem Vertrauen. Seien es nun die Hydriten oder der Weltrat in Meeraka – wir müssen aneinander glauben, auch wenn es uns manchmal schwer fällt.«
Sie blickte
Weitere Kostenlose Bücher