128 - Der Schläfer
umher. Alle nickten, nur Charles Draken Yoshiro runzelte zweifelnd die Stirn. Rulfan wusste, dass sich der Stabschef der Community London zutiefst paranoid benahm, wenn es um die Sicherheit ging.
Die Queen visierte Sir Leonard an. Ihr Blick flackerte, doch ihre Stimme war fest. »Vertrauen bedeutet allerdings auch, dass man einander immer wieder prüft.« Sie legte ein bedeutungsschwangere Pause ein und fuhr dann mit heiserer Stimme fort: »Beunruhigenderweise ist es in letzter Zeit zu einigen Versuchen gekommen, in die zentrale Helix Londons einzudringen. Fehlgeschlagene Versuche, zum Glück.«
Es wurde unruhig im Raum. General Yoshiro nickte wissend und fluchte heftig, wie man es von ihm gewohnt war.
Die Queen übertönte das Stimmengewirr. »Sie alle können sich sicherlich vorstellen, was ein erfolgreicher Angriff für Konsequenzen hätte. Ein Zusammenbruch des Informationstransfers wäre noch die harmloseste Variante. Unser Leben, ja unsere gesamte Kultur beruhen seit Jahrhunderten auf dem hundertprozentigen Funktionieren der internen Anlagen. Sauerstoff, Licht, Kühlung, Nahrung – vieles davon wird vollautomatisiert erzeugt und zur Verfügung gestellt. Dies alles wäre gefährdet, wenn jemand Zugriff auf die zentrale Helix hätte.« Die Unruhe nahm zu. Mehrere Londoner Octaviane waren aufgesprungen. »Doch wie gesagt, Lords und Myladies: die mehrfach redundanten Absicherungen haben bisher das Schlimmste verhindern können. Im Gegenteil ist es uns dank der Unvorsichtigkeit des Gegners sogar gelungen, den Herkunftsort der feindlichen Angriffe herauszufiltern.«
Rulfan drückte den Oberkörper vor und wischte sich erneut Schweiß von der Stirn. Die Anspannung aller Anwesenden war fast körperlich greifbar.
»Der Ausgangspunkt der Angriffe ist… Salisbury!«
***
Alle Octaviane Londons mit Ausnahme von General Yoshiro waren aufgesprungen. Ein Graben tat sich mit einem Mal auf; ein Graben des Misstrauens zwischen den Angehörigen der beiden britischen Communities. Wenn es um die interne Sicherheit einer Bunkergemeinschaft ging, entwickelten die Betroffenen ein nahezu zwangsneurotisches Abwehrverhalten.
Auch wenn eine mehrhundertjährige Partnerschaft bestand – hier und jetzt ging es ans Eingemachte.
Sir Leonard war ruhig geblieben. Rulfan beobachtete ihn, wie er mit vollkommener Beherrschung auf seinem Platz sitzen blieb. Lediglich die Finger krallten sich in die Tischkante.
»Achte immer auf die Hände deines Gegenübers«, hatte ihm Eve einmal empfohlen, »und du weißt über seine wahren Empfindungen Bescheid.«
»Sie können diese… Anschuldigungen belegen?«, fragte sein Vater. Der Blick war starr auf die junge Queen gerichtet.
»Natürlich«, antwortete Victoria. »Ich werde Ihnen das Material selbstverständlich zur Verfügung stellen.«
»Das ist ein Eklat sondergleichen!«, äußerte sich Lady Josephine Warrington empört. »Warum wurde ich nicht bereits früher informiert?«
»Weil es keinen Grund gibt, die Community in Salisbury pauschal zu verurteilen«, sagte die Queen zu ihrer engsten Beraterin. »Wir müssen davon ausgehen, dass es sich hierbei um einen Einzelgänger, also um einen Verräter handelt.«
Rulfan sah, dass sich sein Vater ein wenig entspannte. Die Königin ließ sich nicht von der allgemeinen Hysterie anstecken.
Die Anschuldigungen wogen dennoch schwer und stellten eine Belastung für die Community-Partnerschaft dar.
Rulfan erhob sich und Ruhe kehrte ein. Aller Blicke richteten sich auf ihn. Seine Stimme besaß Gewicht, auch wenn er keinerlei offizielle Legitimation in dieser Runde besaß.
»Es wäre nicht das erste Mal«, sagte er, »dass sich die Daa’muren eines der Unseren bedienen. Sie alle wissen, dass ich selbst von ihnen getäuscht wurde, als ich die angebliche Barbarin Aunaara nach London brachte.«
Schmerzhafte Eindrücke bemächtigten sich plötzlich seiner Gedanken; kaleidoskopartig, verschwommen und zerhackt.
Nicht jetzt!, flehte Rulfan stumm. Bitte nicht! Und so schnell, wie die Bilder gekommen waren, verschwanden sie wieder.
Wie lange war er nicht Herr seiner Sinne gewesen? Hatte jemand etwas bemerkt? Nein; es konnten nur Momente gewesen sein, in denen er die Kontrolle über seinen Geist verloren hatte.
Rulfan sammelte sich und sprach hastig weiter: »Ich kann Ihnen allen versichern, dass es in Salisbury niemanden gibt, der bereit ist, aus freien Stücken die Allianz zu verraten. Es steht viel eher zu befürchten, dass es erneut einem Daa’muren
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