1285 - Der Vampirhasser
Verantwortung.
»Wir haben jetzt ein Problem«, erklärte Suko. »Ich möchte von Ihnen noch wissen, ob man ihn gesucht hat. Wurden die zuständigen Stellen informiert?«
Der Arzt schluckte und schaute uns nicht an. Das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er rang sich zu einer Erklärung durch. »Wir haben natürlich etwas in die Wege geleitet, aber Urcan blieb leider verschwunden.«
»Sie haben unsere Kollegen informiert?«, hakte Suko nach.
»Nicht direkt, will ich mal sagen.«
»Oh, das ist toll, wirklich. Hätten Sie etwas getan, wäre einiges nicht geschehen.«
Dr. Sobec lehnte sich zurück. »Bitte, ich verstehe nicht. Was wäre nicht geschehen?«
»Urcan ist ein Mörder!«
Der Arzt sagte nichts.
»Ein dreifacher Mörder«, präzisierte Suko. »Er hat die Menschen nicht mit einer Pistole erschossen, er hat sie gepfählt, Doktor. Verstehen Sie? Urcan hat ihnen den Vampirpfahl durch die Brust gestoßen. In seinem Wahn war er nicht aufzuhalten. Er hat sich tatsächlich für van Helsing gehalten. Für eine Romanfigur, die damals den Vampir Dracula jagte und letztendlich auch vernichtete. Aber es gibt keinen Dracula für ihren Schützling. In seiner krankhaften Fantasie allerdings existierten viele dieser Draculas, und so tötet er sie mit seinem verdammten Pfahl.«
Dr. Sobec sagte nichts. Er wurde blass, wusste nicht, wohin er schauen sollte und meinte schließlich: »Damit habe auch ich nicht rechnen können. Gut, er hat sich für diesen van Helsing gehalten, das stimmt schon. Für uns war es jedoch kein Grund zur Beunruhigung, denn wir haben zahlreiche Patienten hier, die man als gespaltene Persönlichkeiten bezeichnen kann. Sie leben dann in zwei Welten. Eine denkt immer, sie wäre der große Stummfilmstar Asta Nielsen. Eine andere hält sich für Cleopatra, ein dritter ist manchmal Stalin und so weiter. Wir leben damit. Wir gehen auch auf sie ein, lachen sie nie aus und haben uns daran gewöhnt. Große Verbrechen sind hier eigentlich noch nie passiert. Höchstens kleine Vergehen innerhalb des Klinikgeländes. Deshalb war ich auch nicht so besorgt, als Urcan flüchtete.«
»Das ist nun nicht mehr zu ändern«, stellte ich fest und schickte sofort eine Frage nach. »Sagen Sie mal, Dr. Sobec, wer hat dafür gesorgt, dass Urcan eingeliefert wurde?«
»Seine eigene Mutter!«
»Ach und warum?«
Der Arzt schaute für einen Moment ins Leere. »So genau kann ich Ihnen das auch nicht sagen. Die Frau wurde nicht mehr fertig mit der Reaktion ihres Sohnes. Sie wollte wieder ihr eigenes Leben führen und nicht immer nur auf ihn fixiert sein. Andere Menschen hätten möglicherweise nicht so reagiert, aber Marlene Urcan hat es getan. Sie empfand ihren Sohn als Last, weil sie…«, der Arzt hob die Schultern. »Jeder ist eben anders. Wir hatten hier noch Plätze frei, und da haben wir zugesagt. Ich sage Ihnen aber noch, dass es nicht ganz preiswert ist, in unserer Obhut zu sein, aber Mrs. Urcan hat die Kosten übernommen und immer pünktlich überwiesen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Doch, Sie können«, sagte ich.
»Was denn?«
»Sie kennen die Anschrift der Frau?«
»Das allerdings.«
»Dann würden wir sie gern erfahren.«
»Kein Problem, Mr. Sinclair, kein Problem.«
Das war es auch nicht. Wenig später wussten wir, wo wir Marlene Urcan finden konnten, und der Arzt blickte uns fragend an. »Wollen Sie ihr einen Besuch abstatten?«
»Genau das hatten wir vor.«
»Darf ich fragen, was Sie sich davon versprechen?«
Ich räusperte mich. »Wir müssen Urcan ja irgendwo finden, nicht wahr? Und noch etwas, Doktor. Bitte, rufen Sie Mrs. Urcan nicht an. Das wäre nicht in unserem Sinne.«
»Natürlich nicht. Aber wie kommen Sie darauf, dass ich es getan hätte?«
»Vielleicht aus falsch verstandener Solidarität. Dieses hier müssen wir beide wirklich allein durchziehen, und unser Besuch bei Mrs. Urcan ist auch nur eine der Möglichkeiten, die es gibt.«
»Ich verstehe.«
Suko und ich erhoben uns wie abgesprochen. »Dann wollen wir Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«
»Nein, nein, das war nicht weiter tragisch.« Auch Dr. Sobec stand auf. Er schaute etwas verwundert an meiner Gestalt herab. Das konnte ich verstehen, denn durch das Rutschen auf dem Dach war meine Kleidung nicht eben sauberer geworden.
Im Park atmeten wir die frische Luft ein. Es tat uns gut, denn in Sobecs Büro war es ziemlich stickig gewesen.
»Was für ein Gefühl hast du?«, fragte Suko.
»Immer
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