1285 - Der Vampirhasser
René Urcan verzog angewidert seinen Mund. »Ja, das weiß ich genau.«
»He, jetzt übertreibst du aber.«
»Bestimmt nicht. Ich kenne dich doch. Ich kenne alle die Menschen, die ein maskenhaftes Leben führen. Das habe ich auch getan. Ich bin schon länger aus der Klinik raus. Ich konnte ein neues Leben beginnen. Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Aber etwas hat mir noch gefehlt, und das hole ich jetzt nach. Ich werde allen die Maske von den Gesichtern reißen, das verspreche ich dir.«
»Was meinst du damit?«
Er ging nicht darauf ein und schüttelte den Kopf. »Auch du bist damit gemeint, Mutter. Ich habe es mir vorgenommen, denn du gehörst auch zu ihnen, die eine Maske tragen. In Wirklichkeit ist etwas ganz anderes in dir. Etwas Böses, das vernichtet werden muss. Ich bin dazu ausersehen, es in die Wege zu leiten. Ich allein…«
Marlene Urcan hatte genau zugehört. Sie hatte auch genau hingeschaut, und deshalb war ihr die Veränderung im Gesicht ihres Sohnes nicht entgangen. Es gab die kindlichen Züge nicht mehr. Er sah anders aus. Ein ihr fremdes Gefühl hatte sich ausbreiten können, und wenn sie einen Begriff dafür suchen sollte, konnte sie es nur als Hass bezeichnen.
Ja, er hasste sie.
»Bitte, Junge, was ist mit dir los?«
»Junge?«, knurrte René. »Nein, Mutter, ich bin nicht mehr dein Junge.« Seine Stimme verlor den tiefen Klang nicht. »Ich bin zu einem anderen geworden. Ich bin Dr. van Helsing. Ich bin sein Erbe. Ich habe seine Aufgabe übernommen. Ich werde die Welt von den Vampiren befreien, verstehst du, Mutter?«
»Ja, ja, das habe ich verstanden. Ist klar, Junge, du willst dich auf die Suche nach den Vampiren machen.«
»Genau so ist es.«
»Dann bist du hier falsch. Hier leben keine Vampire. Das musst du mir glauben. Ich hätte dir längst Bescheid gegeben, denn du hast sie ja immer gehasst.« Marlene hatte beschlossen, sich auf ihren Sohn einzustellen. »Bitte, du kannst dich umschauen, René. Vampire wirst du hier nicht sehen.«
»Doch!«
»Aber wo denn?« fragte sie lachend.
»Vor mir - du!«
Die Frau war geschockt. Es hatte ihr die Sprache verschlagen. Sie wich unwillkürlich einen kleinen Schritt zurück. Mit einer fahrigen Bewegung fuhr sie durch ihre Haare. Sie wünschte sich, sich verhört zu haben, doch das war nicht der Fall. Sehr genau vollzog sie die Worte ihres Sohnes nach.
»Aber ich doch nicht«, flüsterte sie.
»Doch, doch!« Der irre Glanz in den Augen blieb. »Die meisten wissen es nur nicht. Sie halten sich für normale Menschen, aber da irren sie sich. Nein, sie sind es nicht. Sie sind Vampire, grauenvolle Blutsauger, und ich, van Helsing, bin gekommen, um sie in die Hölle zu schicken. Ich werde sie pfählen! Ich werde dich pfählen! Verstehst du? Ich werde dir den Pfahl ins Herz rammen und zuschauen, wie du vergehst. Das muss ich tun. Dazu bin ich durch mein Erbe verpflichtet. Es ist meine Aufgabe.«
Marlene Urcan wusste nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Nie im Leben war sie so geschockt gewesen. Sie stand da und fühlte sich in einen Film hineingezogen. So war es leider nicht. Den Mann vor ihr, den gab es wirklich. Es war ihr Sohn, den sie mal im Leib getragen hatte. Was war aus ihm geworden?
Sie verstand die Welt nicht mehr. Sie konnte sie nicht begreifen. Sie merkte nur, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Ihr Inneres reagierte ebenfalls. Es stemmte sich gegen das Wissen. Sie merkte, dass sie dicht davor stand, die Nerven zu verlieren. Das Zittern jagte wie ein Kälteschauer durch ihren Körper.
Die Frau wunderte sich darüber, dass sie noch sprechen konnte. Nur hörte sich ihre Stimme krächzend an.
»Aber… aber… das kannst du doch nicht tun. Bitte, das ist nicht möglich. Man kann doch als Sohn nicht die eigene Mutter…«, die nächsten Worte wollten ihr nicht mehr über die Lippen.
»Doch, man kann, mein Liebe. Man kann sogar sehr gut. Manchmal muss man es tun!«
Marlene war vor Entsetzen wie gelähmt.
Überdeutlich sah sie, wie ihr Sohn unter seine Jacke griff und einen Gegenstand hervorholte, dessen Anblick sie erschreckte. Es war ein langer Pfahl und vorn zugespitzt. Er lächelte die Waffe an, und auch dieses Lächeln war nicht mehr normal, sondern hatte einen irren Ausdruck bekommen.
»Damit!«, flüsterte er und lachte dabei. »Damit werde ich dich töten, Mutter.«
Aber ich bin kein Vampir!
Das wollte sie rufen, nur schaffte sie es nicht. Plötzlich schlug ihr Herz in einem rasenden Takt. Sie merkte auch, wie das Blut in
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