1285 - Der Vampirhasser
hat ihn in all ihrer Arroganz unterschätzt. Sie hat nicht daran gedacht, dass er wirklich so stark ist. Genau das ist ihr Problem, mein Lieber.«
»So muss man es wohl sehen. Und deshalb dürfen wir ihn nicht mehr unterschätzen.«
»Dann los. Ich will den Vogel fangen.« Ich duckte mich zusammen, streckte die Füße vor und sprang in den Speicher hinein…
***
Einige Male fluchte Urcan, weil er keine Lampe bei sich hatte. Der Speicher war nicht nur mit allem möglichen Gerümpel voll gepackt, er war auch noch verdammt groß, so dass er sich nur schwer zurechtfinden konnte.
Es gab mehrere dieser schrägen Dachfenster, doch sie ließen kaum Licht einfließen. Zudem hatte sich draußen die Dunkelheit ausgebreitet, und die Umrisse malten sich in einem schwachgrauen Farbton ab. Wenige Sekunden hatte er sich gegönnt und gelauscht. Klar, sie würden ihn verfolgen, wenn sie gesehen hatten, dass er im Haus verschwunden war. Und deshalb musste er schneller sein.
Zudem kam noch etwas hinzu. Er konnte nicht mehr zurück in seine Wohnung. Er war jetzt auf der Flucht. Wenn die Kerle tatsächlich Bullen waren, würden sie seine Wohnung unter Beobachtung stellen, und deshalb musste er sich etwas anderes einfallen lassen.
Vogelfrei!
Ich bin vogelfrei, man wird mich jagen, aber - und das redete er sich ein - auch das müssen Helden wegstecken.
Er sah sich als Held an!
Ja, die Helden waren nie Menschen, die sich anderen anschlossen. Sie waren immer einsam. Sie ließen sich von keinem aufhalten und gingen ihren eigenen Weg stets bis zum Ende. Nur derjenige, der sich voll und ganz auf sein eigenes Ziel konzentrierte, der konnte zu einem Helden werden.
Dass es auch Menschen gab, die auf eine andere Art und Weise zum Helden wurden, daran dachte er nicht. Urcan kannte nur das Bild vom einsamen Kämpfer, der immer vorausschritt und alle Hindernisse hinter sich ließ.
Er war jemand, der diese Gedanken brauchte. Sie putschten ihn auf, und das war schon in der Klinik der Fall gewesen. Daran hatte er sich aufgerichtet. Sonst hätte er die verfluchte Zeit gar nicht überstanden. Immer wenn er daran dachte, fiel ihm seine Mutter ein, die so sorgenvoll tat und anderen Menschen perfekt etwas vorspielen konnte, in Wirklichkeit aber eine raffinierte Schlange war, denn sie hatte letztendlich dafür gesorgt, dass er in der Klinik gelandet war.
Er brauchte Freiraum. Helden holten sich den, und genau das wollte er auch tun.
Als er diesen Gedanken vollzogen hatte, sah er auch einen ersten Erfolg, denn er hatte die Tür erreicht, die vom Speicher wegführte. Wieder eine Etappe.
Über ihm war es ruhig geblieben. Niemand ließ sich durch das offene Fenster fallen, und so stieg die Freude, es geschafft zu haben, noch mehr an. Allerdings durfte er nicht übermütig werden, das wusste er genau. Man hatte ihm drei Blutsauger geschickt, und wer konnte schon sagen, ob nicht noch weitere unterwegs waren?
Das belastete ihn, aber es gab eine Frage, über die er noch stärker nachgrübelte.
Wer hatte ihm diese drei Blutsauger geschickt? Wer stand dahinter? Wer konnte wissen, dass er der Vampirjäger und Vampirhasser war? Die Antwort kannte er nicht. Er würde sie auch nicht so schnell finden, denn er hatte mit keiner fremden Person über seine Absichten gesprochen, und erst recht nicht mit seiner Mutter, wenn sie sich mal wieder zu einem ihrer wenigen Besuche in der Anstalt aufgerafft hatte. Da hatte sie dann immer so liebevoll getan, aber das war reine Schauspielerei gewesen, damit der zuschauende und zuhörende Wächter zufrieden war.
In Wirklichkeit jedoch freute sie sich darüber, ihn losgeworden zu sein. Sie hatte ihn nie verstanden.
All seine Intensionen, die er ihr dargelegt hatte, waren für sie Spinnerei gewesen. Sie wollte ihr eigenes Leben führen und sich nicht von einem Irren stören lassen.
»Das bereust du!« flüsterte er mit rauer Stimme. »Das wirst du bereuen. Ich schwöre es dir. Ich mache dein Leben kaputt. Aber endgültig.« Er hatte sich in Rage geredet. Er spürte den Schweiß, der ihm aus den Poren trat, und mit zitternden Fingern umklammerte er den Pfahl, als er die Tür des Speichers öffnete.
Die Befürchtung, dass die Tür abgeschlossen sein könnte, erfüllte sich nicht. Sie schleifte über den Boden, als er sie aufzog. Er sah in einen dunklen Flur.
Sicherlich gab es hier irgendwo einen Lichtschalter. Nur traute er sich nicht, hell zu machen. Kurz vor der Tür blieb er witternd wie ein Raubtier stehen.
Er roch
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