1286 - Todesruf der Geisterfrau
aufhören, ihn zu bemuttern. Das war manchmal okay, aber dann gab es wieder Momente, in denen Bill sich etwas zu sehr eingeschränkt fühlte. Heute hatte Sheila nicht Unrecht. Der Frischeste war er nun wirklich nicht.
Er stieg aus dem Wagen. Die Kopfschmerzen hatten etwas nachgelassen. Er fühlte sich wieder besser und reckte sich zunächst, wobei er tief die gute Luft einatmete.
Dabei blickte er sich um und entdeckte einen Weg, der zu einem Tor führte. Es war zugezogen, aber Bill bezweifelte, dass man es auch abgeschlossen hatte. Wenn ja, würde er es überklettern, was auch kein Problem darstellte.
Die ersten Bewegungen an der frischen Luft hatten ihm schon gut getan. Er spürte keine Stiche mehr im Kopf. Es ging alles wieder fast normal. Auch seine Aufmerksamkeit ließ nicht nach, und als er das Tor erreichte, schaute er zunächst durch die Lücken zwischen den Gitterstäben auf den Friedhof, der wirklich so dicht bewachsen war, dass die Gräber mit ihren Steinen erst beim zweiten Hinschauen richtig auffielen. Zum größten Teil waren es schon imposante Gebilde. Wer hier begraben lag, der hatte sich auch seine Grabstätte etwas kosten lassen. Bill war sicher, dass er auf den Grabsteinen einige prominente Namen aus der Vergangenheit lesen würde.
Die interessierten ihn nicht besonders. Er wollte den Grund für den Selbstmord des Fotografen herausfinden und konnte sich vorstellen, dass er ihn hier auf dem alten Friedhof fand. Ob das Gelände direkt etwas damit zu tun hatte, wusste er nicht. Es konnte durchaus sein, dass es auf eine bestimmte Art und Weise »verseucht« war. Dass eine schlimme Aura hier vorherrschte und von den Menschen Besitz ergriff, sodass sie praktisch zu anderen Personen wurden.
Alles war möglich, aber im Prinzip ging es um eine geheimnisvolle Frau mit dem Namen Helena.
Bill freute sich darüber, dass das schmale Tor nicht abgeschlossen war. Er konnte es aufziehen und das Gelände dahinter betreten.
Der schwere Duft, der von irgendwelchen Blüten oder Pflanzen ausging, wehte in seine Nase. Er sah über sich die hohen Kronen der Bäume, und es kam ihm vor, als wollten sie dem Besucher den Blick auf den Himmel nehmen, denn er war nur in Ausschnitten zu sehen. Das Licht über den Wegen und Gräbern war dämmrig geworden und schimmerte öfter in verschiedenen Grüntönen.
Bill befand sich plötzlich mitten auf dem Friedhof, ohne dass es ihm richtig bewusst geworden wäre.
Jemand schien ihn an diese Stelle hingeschoben zu haben, er konnte sich nicht erinnern, welchen Weg er genommen hatte.
Das war schon ungewöhnlich, und so blieb Bill zunächst mal stehen und drehte sich dabei um.
Er schaute zurück, doch auch jetzt blieb die Erinnerung außen vor. Er war einfach gegangen und immer der Nase nach, wie man so schön sagt, aber es fehlte die Erinnerung.
Welchen Weg er genau zurücklegen musste, wusste er nicht. Selbst bei intensivem Nachdenken nicht, und das störte ihn. Lag es wirklich nur an den Ausschweifungen der vergangenen Nacht oder an der Atmosphäre, die hier auf dem Gelände herrschte?
Bill war kein Laie, wenn es um Friedhöfe ging. Er hatte schon die unterschiedlichsten erlebt. Normale Friedhöfe, aber auch welche, auf denen sich die Gräber geöffnet hatten, um lebende Tote zu entlassen. Er hatte einen Totenacker mit ewigen Schreien durchleiden müssen, und nun stand er auf einem Gelände, dessen Stille ihm plötzlich unheimlich war. Bill wusste genau, dass es sich hier nicht um die normale Ruhe handelte, es war etwas anderes. Er hatte das starke Gefühl, belauert zu werden, ohne den Feind zu sehen.
Wohin gehen?
Zum ersten Mal seit Betreten des Friedhofs kam ihm dieser Gedanke. Die Antwort hatte Bill rasch parat. Im Prinzip spielte es keine Rolle, abgesehen von der alten Eiche, an der sich Ray Patton erhängt hatte. Der Weg war ihm von Gilda gut beschrieben worden. Ob er das Ziel jedoch fand, bezweifelte Bill, denn er musste zugeben, dass er nicht alles behalten hatte.
Bei dem Begriff Eiche war ihm in den Sinn gekommen, sich umzublicken. Er legte den Kopf in den Nacken, schaute schräg in die Höhe und sah sich die Bäume in seiner Nähe genauer an.
Eichen, Kastanien, die bereits ihre dicken, grünen und stacheligen Früchte trugen. Einige lagen bereits am Boden. Da war die Schale aufgeplatzt und hatte den rotbraunen Inhalt entlassen.
Er senkte den Kopf wieder - und sah plötzlich die schattenhafte Gestalt in seiner Nähe.
Sofort vereiste Bill. Etwas Kaltes rann über
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