1286 - Todesruf der Geisterfrau
Steinen bestanden, aber trotzdem wie poliert aussahen. Nein, ich hatte mich geirrt. Sie waren nicht nur glatt. Ich entdeckte bei genauerem Hinschauen Zeichen oder Einkerbungen und ging auf die entsprechende Wand zu.
Schon beim Näherkommen erkannte ich, dass es keine Schriftzeichen oder Buchstaben waren, die ich in der Schule gelernt hatte. Bei diesen Beschriftungen handelte es sich um Hieroglyphen, die meiner Ansicht nach aus dem alten Ägypten stammten.
Es waren keine Bilder zu sehen. Keine Abbildungen von Göttern wie Horus oder Osiris, sondern nur Zeichen, die ein Ägyptologe sicherlich deuten konnte. Ich war da überfragt.
Von oben her meldete sich Caine. »He, hast du was gesehen?«
»Ja, aber nicht der Rede wert.«
Das glaubte ich zwar selbst nicht, aber ich wollte mit Caine nicht darüber sprechen. Meine Gedanken machte ich mir schon, und ich dachte an den Bau dieser ungewöhnlichen Gruft. Der Turm sah tatsächlich aus wie eine Pyramide, da passten ja die Zeichen.
Zudem fiel mir ein, dass ich erst vor kurzem in Deutschland in einem Hotel übernachtet hatte, das ebenfalls als Pyramide gebaut worden war. Da hatte ich dann die Rückkehr einer altägyptischen Prinzessin erlebt, und das war nicht eben ein Spaß gewesen.
Sollte hier etwas Ähnliches stattfinden?
Ich war immer mehr der Überzeugung, dass mir der Sarg eine gewisse Aufklärung geben würde. Deshalb ging ich wieder zu ihm und schaute nach, wie ich ihn öffnen konnte.
Es gab keine sichtbaren Verschlüsse. Deckel und Unterteil waren fest zusammengepresst. Um sie auseinander zu bekommen, musste ich sicherlich Kraft aufwenden.
Ich legte meine Hände auf den Deckel und hatte mir ungefähr die Mitte ausgesucht.
Von oben her schaute mir Eric Caine zu. Ich sah ihn zwar nicht, aber ich hörte sein angestrengtes Atmen.
Noch mal holte ich Luft, griff wieder härter zu - und zog den Deckel in die Höhe.
Fast wäre ich nach hinten gefallen und ausgerutscht. Der Widerstand war dahin, nein, es hatte ihn gar nicht gegeben. Ich hatte den Deckel wirklich normal anheben können. Da gab es keinen Verschluss, da hatte auch nichts geklemmt, ich hielt ihn plötzlich fest, aber so hoch, dass er mir die Sicht auf das Unterteil verwehrte.
Caine hatte einen besseren Blick. »Sinclair, das ist verrückt. Ehrlich. Das glaubt keiner!«
Ich stellte den nicht besonders schweren Deckel zur Seite und hatte freies Sichtfeld. Der Sarg war leer!
Sollte ich das als eine Überraschung ansehen?
Ja, irgendwie schon. Normalerweise waren Gruften nicht leer. Man begrub dort die Toten, die in ihren Särgen irgendwann zerfielen und verwesten.
Hier war der Sarg einfach nur leer. Doch ich fragte mich sofort, ob das schon immer der Fall gewesen war oder erst nur seit kurzer Zeit, in der dann die Selbstmorde hier auf dem Friedhof passiert waren.
So einfach wollte ich es mir nicht machen. Ich trat wieder an den offenen Sarg heran und leuchtete ihn aus. Beim ersten Hinschauen wies nichts darauf hin, dass hier jemand gelegen hatte. Ich bückte mich tiefer und verfolgte den Weg des Lichtkegels genauer. Ich ließ ihn nur sehr langsam weitergleiten, und mir stockte der Atem.
Haare schimmerten im Licht. Sie lagen auf dem Boden, der mit nichts ausgekleidet war. Da war nur das nackte Material zu sehen, bis auf die schwarzen Haare.
Ich pickte sie mit den Fingern auf und sah, dass sie nicht lang und glatt waren, sondern gekrümmt.
Das deutete auf Menschenhaar hin, und zwar auf das Haar einer Frau.
Helena…
Ich richtete mich wieder auf. Die Umgebung war die gleiche geblieben, und trotzdem kam es mir vor, als hätte sich etwas verändert. Eine andere Stille hatte von dieser Gruft Besitz genommen, und auch Eric Caine hörte ich nicht mehr.
Irgendwie sah ich mich gezwungen, in die Stille hineinzulauschen. Ich wartete förmlich auf Geräusche, aber ich bekam keine mit. Es blieb einfach nur still.
Bis ich das Flüstern vernahm!
Es war ein schon merkwürdiges Geräusch, das ich durchaus hörte, aber nicht herausfand, aus welcher Richtung es mich erreichte. Es war einfach da, denn es klang von links, von rechts, von oben und von unten. Aber es setzte sich nicht aus mehreren unterschiedlichen Stimmen zusammen. Es wurde nur von einer Person abgegeben, doch in dieser kahlen Gruft mit den glatten Wänden hinterließ es ungewöhnliche Echos, sodass ich schon den Eindruck haben konnte, von mehreren Stimmen umgeben zu sein, die mich aus irgendeinem Geisterreich erreichten.
Jetzt wäre es eigentlich
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