129 - Der Vampir von Budapest
keinen Blutsauger in Budapest. Aber gehen Sie mit offenen Augen durch die Stadt, dann werden Sie in vielen Gesichtern die Furcht bemerken. Man hängt in den Zimmern Knoblauchzöpfe auf, malt mit geweihten Kreiden alle erdenklichen Zeichen und Symbole an Türen und Fenster, die den Vampir abschrecken oder - noch besser - verscheuchen sollen. Die Stadt hat Angst vor Lazar.«
»Sie auch?« fragte Vladek Rodensky.
Selpin nahm einen letzten Zug von der Zigarette und stieß die Glut dann in den Aschenbecher.
»Ja«, sagte er und schaute den Hotelgast dabei direkt an. »Ich schäme mich nicht, zuzugeben, daß auch ich diesen Nichttoten fürchte. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn er plötzlich vor mir auftauchte. Ich bin bestimmt kein Feigling, aber was soll ich gegen einen Vampir unternehmen? Alle Probleme, die es bisher in diesem Hotel gab, habe ich ohne große Mühe gemeistert Zumeist bekamen die anderen Gäste davon überhaupt nichts mit. Aber da hatte ich es mit Menschen zu tun.«
»Eine glückliche Fügung des Schicksals, daß ich hier mit einem Mann verabredet bin, dessen Beruf es ist, Geister und Dämonen zu jagen. Sein Name ist Tony Ballard. Er ist seit vielen Jahren mein Freund, lebt in England, genauer: in London, und seine beruflichen Erfolge können sich sehen lassen«, sagte Vladek Rodensky. »Wenn er von Lazar erfährt, wird er unverzüglich darangehen, die Stadt aus dem Würgegriff des Vampirs zu befreien.«
Selpins Gesicht überzog sich mit einem Hoffnungsschimmer, »Wann trifft Ihr Freund ein?«
»Heute.«
Janos Selpin musterte den Brillenfabrikanten ernst, »Ich weiß nicht viel über Vampire, aber eines ist mir bekannt; daß diese Blutsauger nicht so schnell aufgeben. Es gelang Ihnen, Lazar in die Flucht zu schlagen, aber er wird diese Niederlage nicht einfach hinnehmen. Er wählte Ihre Begleiterin als Opfer aus. Ich nehme an, sie ist sehr schön. Der Vampir hat sich für sie entschieden. Das bedeutet, daß er nach wie vor ihr Blut trinken möchte. Er wird wiederkommen. Sie sollten Ihre Freundin nach Möglichkeit nicht allein lassen.«
Vladek Rodensky erhob sich seufzend, »Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.«
»Ich würde gern Ihren Freund aus England kennenlernen.«
»Läßt sich einrichten. Ich werde Sie mit ihm bekanntmachen«, versprach Vladek Rodensky und verließ das kleine Büro des Hoteldetektivs.
***
Graf Lazar war wegen des Mißerfolgs wütend. Er war dem schlanken Hals dieses schönen Mädchens schon so nahe gewesen, hatte dann aber auf ihr Blut verzichten müssen.
Die meisten Menschen ergriffen die Flucht, wenn sie erkannten, daß sie es mit einem Vampir zu tun hatten. Diesmal war es umgekehrt gewesen. Er,, Lazar, hatte sich in Sicherheit bringen müssen, weil dieser Mann mit dem Mut eines Löwen gekämpft hatte.
Lazar hatte die Absicht. Erkundigungen über den Mann einzuholen, und es würde ihm auch nicht schwerfallen, herauszufinden, wie dieses blonde Mädchen hieß.
Sie mußte sterben. Lazar hatte das beschlossen. Wenn nicht in dieser Nacht, dann in einer der nächsten. Lebend würde sie Budapest nicht verlassen, dafür wollte er sorgen.
Er zog die braune Hotel uniform aus und warf sie in ein Tulpenbeet, Die Nacht war noch lange nicht um. Der Vampir war zuversichtlich, seine Blutgier noch befriedigen zu können.
Er schaute zur Zitadelle auf dem Gellérthegy hinauf. Nachts waren dort oben oft Liebespärchen anzutreffen, die im Schutz der Dunkelheit Dinge anstellten, die man bei Licht nicht tun durfte.
Es war nicht weit bis zur Zitadelle.
Der Blutgraf war im Begriff, sich zu verwandeln, als das Keuchen, eines Menschen an sein Ohr drang.
Lazar verbarg sich hinter Büschen und beobachtete einen jungen Mann, der mit elastischen Schritten die Uferpromenade entlanglief. Gutes, mit Sauerstoff stark angereichertes Blut pulsierte in seinen Adern, und er war völlig ahnungslos.
Ein willkommenes Opfer für Graf Lazar.
Der Vampir ließ den Leichtathleten an sich vorbeilaufen. Augenblicke später stieg er flatternd hoch und folgte dem Sportler als Fledermaus.
***
Der junge Mann hieß György Tarko. Er war von einem gesunden Ehrgeiz beseelt. Tagsüber arbeitete er in einer Maschinenfabrik, und in seiner Freizeit trainierte er für den Marathon.
Er würde nicht gewinnen, das war ihm klar, denn dazu nahm er seinen Beruf zu ernst, und das wiederum hatte zur Folge, daß er nicht den gleichen Trainingsumfang wie die
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