129 - Im Vorhof der Hölle
-„die Große Seele" - weil er neben seinem Mut und seiner Schlauheit auch einen edlen Charakter hatte.
Unga war darüber aber nicht recht froh, denn als Halbgott sah er sich verpflichtet, den Menschen zu helfen, und mußte so zwangsläufig die Suche nach Hermon vernachlässigen.
Als er dann das Gerücht hörte, daß Kantilya, der Verschlagene, das Geheimnis Hermons kennen würde, machte sich Unga auf in dessen Reich. Doch es stellte sich heraus, daß der Dämon dieses Gerücht nur in die Welt gesetzt hatte, um Mahatma Unga zu sich zu locken und sich mit ihm bei einem magischen Schach zu messen. Unga überlistete auch Kantilya und zog noch weiter nach Norden, wo er nicht so bekannt war.
An der Grenze zu Nepal erfuhr er dann, daß sich der größte aller lebenden Magier Padmasambhawa in Tibet aufhalten sollte. Das veranlaßte Unga, sich auch in dieses Land in der Hochebene des Himalaja zu begeben. Wenn ihm jemand helfen konnte, Hermon zu finden, dann war es der aus dem Lotos Geborene.
Der Bon-po, ein fanatischer Anhänger der tibetischen Bon-Religion, eilte wieselflink über das zerklüftete Gestein. Obwohl Unga größer und kräftiger war, hatte er Mühe, mit dem schmächtigen Tibeter Schritt zu halten.
„Komm, Unga!" drängte der Bon-po. „Wir müssen uns beeilen, um zur rechten Zeit am Orte Shitavana zu sein."
„Bist du sicher, daß Padmasambhawa an diesem Ort gewirkt hat?" fragte Unga mißtrauisch.
Der Bon-po kicherte. „Du wirst Gelegenheit haben, die Toten zu fragen."
Ein Schatten sprang plötzlich aus einem Felsspalt und verstellte Ungas Führer den Weg. Unga zückte sein Schwert, aber er brauchte nicht einzugreifen.
Der Bon-po läutete ein Glöckchen und murmelte irgend etwas in einer Geheimsprache. Daraufhin zog sich die schattenhafte Gestalt in den Felsspalt zurück. Als Unga über den Spalt sprang, blickte ihn aus dem Spalt ein fratzenhaftes Gesicht mit über die Unterlippe ragenden Fangzähnen an.
„Was für ein Scheusal!" entfuhr es Unga.
„Nur einer von den blutsaugenden Sri, die in Erdlöchern hausen", erklärte sein Führer. „Er wollte dein Blut, aber ich habe ihn gebannt. Als mein Verbündeter hast du keinen der Dämonen der Lüfte, der Erde und des Wassers zu fürchten, Unga."
Unga war trotz dieser Zusicherung nicht wohl in seiner Haut. Er hatte sich das Vertrauen des tibetischen Magiers erschlichen, indem er ihm versprochen hatte, Padmasambhawa, der auf tibetisch Padma'byungnas hieß, aufzuspüren und ihn an die Bon-po auszuliefern. In Wirklichkeit hatte Unga keinen Verrat im Sinn, sondern wollte nur zum Lotosgeborenen geführt werden. Er hatte deswegen keinerlei Gewissensbisse, denn der gShen oddkar, wie sich der Magier nannte, was „Meister des weißen Lichtes" hieß, war in Wirklichkeit ein Dämonendiener.
„Gleich sind wir am Orte Shitavana", versicherte der Bon-po. „Du wirst sehen, hier finden sich überall noch die Spuren des Verfluchten Padma, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, unsere Dämonen aus dem Land zu jagen. Aber das wird er uns büßen. Wir sind mächtig, Unga, und die Toten, die Padma einst hier am ,kalten Hain' beschworen hat, sind nun auf unserer Seite. Ja, ja, die unruhigen Toten kennen keine Treue. Sie sind wankelmütig und begünstigen immer den, der ihre Hoffnung auf Erlösung wecken kann. Dabei werden sie für immer verdammt sein."
Eine kalte Windböe ließ Unga schaudern. Er hörte das Rauschen eines Wasserfalles. Der Wind trieb ihm feinste Wassertröpfchen ins Gesicht.
Der gShen gebot ihm Einhalt und sagte wieder etwas in seiner Geheimsprache. Aus dem herabfallenden Wasser löste sich eine schemenhafte Gestalt und wirbelte auf Unga zu.
„Klu!" rief der Bon-po mit erhobener Stimme.
Der Wasserschemen zog sich zurück, und ein Säuseln war zu hören, das sich deutlich zu den Worten formte: „Zieh nur des Weges, gShen!"
„Komm, Unga!" sagte der Bon-po zu Unga und eilte leichtfüßig weiter. „Das war nur ein Klu, wie man sie oft in fließenden Gewässern findet. Er ist unser Verbündeter."
Unga fragte nicht, auf welche Weise der Wasserdämon seine Opfer tötete.
Sie erreichten endlich eine Hochebene. Unga sah an die zwanzig vermummte Gestalten an kleinen Feuern. Knorrige, von den Stürmen zu Boden gedrückte Bäume standen vereinzelt herum. Unter jedem dieser Bäume lag ein behauener Stein mit einer faustgroßen Öffnung, um die sich fremdartige Schriftzeichen gruppierten.
„Was sind das für Steine?" erkundigte sich Unga.
„Es sind
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