1292 - Die Blutbrücke
sagte mir nichts, auch nicht die fett gedruckten Namen der Vororte.
Lichtental, Oberbeuern, Oos…
Eines war für mich klar. Es handelte sich nicht um eine englische Stadt. Ich dachte natürlich sofort an Deutschland - und hatte die Lösung bald gefunden, als ich den Lichtkegel der Lampe zum oberen Rand hinbewegte und dort den Namen der Stadt las.
Baden-Baden!
Damit konnte ich schon etwas anfangen. Jetzt stand fest, wo ich in Germany suchen musste. Baden-Baden war auch mir ein Begriff. Einer der größten und exklusivsten Kurorte der Welt. Am Fuße des Schwarzwalds. Gleichzeitig Beginn der Schwarzwaldhochstraße. Eine wunderschöne Gegend, und ich erinnerte mich schwach daran, früher schon mal durchgefahren zu sein.
Die Karte ließ ich auf dem Schreibtisch liegen und kümmerte mich um die anderen Papiere. Sie gaben keine Hinweise auf ein bestimmtes Ziel. Es waren persönliche Unterlagen. Ich sah Briefe, die nicht abgeschickt worden waren. Sie galten einer Frau namens Ellen. Sicherheitshalber überflog ich einige Texte, und danach sah ich den Schreiber - Casey Jordan - in einem anderen Licht.
Er war ein sehr einsamer Mensch gewesen, der die Briefe einer gewissen Ellen geschrieben hatte, die mal seine Partnerin gewesen war, doch nun Schluss gemacht hatte. Das hatte ich den Zeilen entnehmen können und auch, wie der Mann darunter gelitten hatte.
Mit den Briefen hatte er versucht, einen Neuanfang zu starten. Aber es war ihm nicht gelungen, denn er hatte sie nicht mal abgeschickt.
Fürwahr eine tragische Geschichte, denn jetzt würde er sie nicht mehr abschicken können.
Ich durchsuchte auch die wenigen Schubladen des Schreibtisches, ohne allerdings einen Hinweis auf die Blutbrücke zu finden. Wo lag sie? Wo musste ich hin? Warum lag die Karte von Baden-Baden auf dem Schreibtisch? Konnte ich die Blutbrücke dort finden?
Ich nahm die Karte mit, als ich die Wohnung verließ. Und wenn ich dabei auf mein Bauchgefühl hörte, kam mir schon in den Sinn, auf der richtigen Spur zu sein.
Um das herauszufinden, gab es noch einen nächsten Tag, der allerdings schon angebrochen war. Es spielte für mich keine Rolle mehr. Ich wollte nach Hause und erst mal eine Mütze voll Schlaf nehmen…
***
Das Erwachen irgendwann später war zwar nicht furchtbar, aber auch nicht wie sonst. Ich kam mir wie gerädert vor und wühlte mich aus dem Bett, um unter die Dusche zu gehen.
Vor dem Einschlafen hatte ich mich auch kurz geduscht, aber diese hier dauerte länger. Ich hatte das Gefühl, mir irgendwelchen Staub vom Körper spülen zu müssen. Der nicht mehr zu gebrauchende Anzug lag zusammengeknüllt in einer Ecke des Bades, und ich freute mich darauf, wieder »normale«
Kleidung anziehen zu können, denn in dem Partydress war ich mir fast wie verkleidet vorgekommen.
Dass mein Freund und Kollege Suko mich nicht geweckt hatte, dafür gab es einen Grund. Er und seine Partnerin Shao waren zu einer Hochzeit eingeladen. Eine Bekannte von Shao wollte in den Bund der Ehe treten, und das passierte nicht in London, sondern in Amsterdam. Also hatte sich Suko drei Tage Urlaub genommen, der ihm von Sir James gewährt worden war.
Bescheid geben wollte ich Suko nicht. Sollten er und Shao mal richtig abfeiern und ihren Spaß haben.
Denn Horror gab es hier in London noch genug.
Obwohl ich länger geschlafen hatte und mich auch verspäten würde, rief niemand an. Sonst war es stets Glenda Perkins, die mit spitzer Stimme fragte, ob ich den Wecker nicht gehört hatte. Aber auch sie war bestimmt nicht im Büro, denn die Ereignisse der Nacht hatten auch sie mitgenommen. Chief Inspector Tanner hatte mir versprochen, Glenda nach Hause zu bringen, wo sie sich erst mal ausschlafen sollte.
In meiner Wohnung ist es normalerweise still. An diesem Morgen jedoch nicht. Ich hörte den Wind um die Fenster heulen und hoffte, dass er sich nicht zu einem Orkan entwickeln würde, den wir vor gut einer Woche erlebt hatten. Da hatten die Naturgewalten auf der Insel und auf dem Festland zugeschlagen und sogar einige Tote zurückgelassen.
In der Küche kochte ich mir Kaffee und aß einen Käsetoast.
Dann war ich schon auf dem Weg zur Tür, als das Telefon klingelte. Der schmale Apparat grinste, als ich ihn aus der Station nahm. Zumindest kam es mir so vor, und ich hatte kaum meinen Namen gesagt, da vernahm ich ein bekanntes Räuspern.
»Sir James«, sagte ich, »einen guten Morgen.«
»Ja, ja, John, ebenfalls. Ich wollte auch nur wissen, ob Sie sich noch zu
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