1292 - Die Blutbrücke
verlor und allmählich durchsichtig wurde. Irgendwo im Hintergrund schienen gewaltige Windmaschinen verborgen zu sein, die dafür sorgten, dass meine Sicht freier wurde.
Ich hatte angenommen, in einer völlig fremden Welt zu stehen. Das war nicht passiert, wie ich jetzt staunend erkennen musste. Der Nebel lichtete sich immer mehr und gab mir die Sicht auf den Hintergrund frei.
Was ich sah, war etwas völlig Normales. Bäume, die ihr Laub zum größten Teil verloren hatten und deren Geäst jetzt beinahe wie ein Gerippe aussah.
Sogar Licht schimmerte im Hintergrund, so angeordnet, dass es nur aus Fenstern fallen konnte.
Das war okay. Das kannte ich. Und ich sah noch mehr, denn ich stand da, wo mich auch die andere Seite zu fassen bekommen hatte. Mitten auf der Blutbrücke, über die sich jetzt die Dunkelheit des Abends gelegt hatte. Es war also vorbei.
Nein, ein Irrtum. Es fing erst an!
***
Plötzlich war ihr eigenes Schicksal nicht mehr wichtig. Angela Finkler und ihr Kollege dachte nur daran, was sie gehört hatten, und Jens konnte es noch immer nicht glauben.
»Bist du dir wirklich sicher?«
»Ja. Hundertprozentig. Ich weiß genau, wovon ich rede. Das ist alles so eingetroffen, wie ich es dir gesagt habe. Ich bin und ich bleibe mir auch sicher. Ich habe die Stimmen dieser Blonden gehört und auch die von John Sinclair.«
»Dann müsste er hier sein.«
»Bestimmt.«
Und wo?, wollte Jens fragen. Er ließ es bleiben, weil ihm die Frage doch dämlich vorkam. Stattdessen tat er etwas anderes. Er fasste an das Gitter in der Nähe und nahm es als Stütze, als er sich in die Höhe schob.
Noch immer mit leicht zittrigen Beinen blieb er stehen und wischte zunächst den Schweiß aus seiner Stirn und hörte dann die Stimme seiner Kollegin. »He, Jens, ich bin auch noch da.«
»Pardon. Ich war in Gedanken versunken.« Er streckte Angela die Hand entgegen, die sie nahm und sich durch Jens' Hilfe auf die Beine ziehen ließ. Sie hatte noch gewisse Schwierigkeiten und war froh, sich anlehnen zu können.
Ihr Kollege bückte sich. Er dachte daran, wie sich die Buchstaben des Namens verändert hatten. Jetzt schaute er nach, was daraus geworden war, und sah, dass die Normalität wieder Einzug gehalten hatte. Nichts lief mehr auseinander. Jeder einzelne Buchstabe war wieder fest geworden, als hätte es nie eine Veränderung gegeben.
Angela kontrollierte ihre Kamera. »Ja«, meldete sie, »die ist okay. Sie hat alles überstanden.«
»Wie wir.«
»Bist du dir da sicher?«
»Ja, das bin ich. Wir leben. Mensch, Angie, wir haben es…«
»Noch nicht geschafft, Jens. Das Rätsel ist nicht gelöst. Und schau dich mal um.«
Das tat er sofort. »Klar, auch der Nebel geht zurück. Die schweren Zeiten sind vorbei.«
»Sind sie das wirklich?«
»Warum nicht?«
Angela holte tief Luft. »Wenn du nach links siehst, dann kannst du erkennen, dass sich dort Leute bereithalten. Direkt vor der Absperrung. Sie sind soeben gekommen. Ich denke, dass es bald losgehen wird.«
Er blickte hin. Er hörte Stimmen. Er hörte das Lachen und auch die künstlichen Schreie.
»Na?«
Jens war noch mit seinen Gedanken woanders. »Bitte, Angie, womit sollte es losgehen?«
»Halloween. Hast du das vergessen? Wir haben Halloween. Die Nacht der Geister, die Nacht der Toten.« Plötzlich musste sie lachen. Es klang sehr schrill. »Die wollen hier einen Spaß haben und ahnen nicht, auf was sie sich einlassen. Die denken nicht mal daran, dass das Grauen tatsächlich existiert und…«
»Das glaube ich nicht.«
Jetzt war Angela aus dem Konzept gekommen. »He, was ist los? Was hast du?«
»Das… das… kann ich… ich… nicht glauben.« Vor Aufregung fing Jens an zu stottern.
»Sag doch schon, was…«
»Dreh dich mal nach rechts.«
Sie tat es, ihre Augen wurden groß, aber es war keine Halluzination, die Angela quälte. Der Nebel war so weit zurückgewichen, dass die Sicht fast schon wieder klar war. Nur noch wenige Fetzen trieben über die Brücke hinweg.
»Das ist ja John Sinclair«, hauchte sie fassungslos…
ENDE des ersten Teils
[1] Siehe John Sinclair Nr. 1291 »Bitte recht teuflisch!«
[2] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 256 »Dämonen-Zwillinge«
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