1294 - Die Botschaft des Elfahders
schrie er es ihnen in die Ohren. „Der Kalarades ist zum Leben erwacht!"
Wieder blickte er zum Himmel empor. Von der Straße aus konnte er das untere Tor einsehen und die dahinter liegenden Hänge, die das Tal säumten, durch das der Weg hinab in die großen Ebenen führte. Er wußte wohl, wer den Weg dort herauf nahm und keine Stunde unterhalb der Mauern die großen Lager aufgeschlagen hatte. Die Mlironer der Population Iließen sich ungeniert vor der Stadt sehen und zeigten, daß sie da waren.
Und jeder in Naudris wußte, daß sie irgendwann angreifen würden. Der Kampf war angesagt, und die Mlironer konnten nur fliehen oder kämpfen. Jetzt, in diesem Sturm, angesichts der Bedrohung durch die Naturgewalten, blieb nicht einmal die Flucht. Mit den Aschewolken würde der Tod und mit dem Tod der Kampf kommen. Spielte es eine Rolle, wodurch sie starben?
Fanzi Bablen hatte sich vom ersten Augenblick an geschworen, es nicht soweit kommen zu lassen. Er hatte einen Plan gefaßt und zu niemand darüber gesprochen. Nicht einmal zu seiner Familie.
Sie langten vor dem Verwaltungsbau an. Das letzte Dröhnen der Glocke verklang. Fanzi warf den Kopf in den Nacken und drehte sich um. Über dem unteren Tor drehte sich in großer Höhe der Aschewirbel und senkte sich langsam abwärts.
„Ich durchschaue euch", murmelte der Mlironer. „Ihr könnt euch tarnen, aber ich begreife eure Taktik. Kommt nur herab. Es wird euch nichts nützen!"
„Was hast du gesagt?" wurde er gefragt. Er schüttelte nur den Kopf von einer Seite zur anderen. Nein, er hatte nichts gesagt, nur laut gedacht. Seine Gedanken waren nicht für andere Ohren bestimmt, sie waren zu ketzerisch. Hätte er seine Meinung kundgetan, seine eigenen Kinder hätten ihn für verrückt erklärt.
Irgendwann, während er sich nachts unruhig in seinem Bett gewälzt hatte, war Fanzi sich bewußt geworden, daß er eigentlich ein Rebell war. Er wollte nichts ertragen. Wenn er sich gegen den Vulkan auflehnte, warum dann nicht auch gegen die Asche und die Population I? Aber was war ein einzelner Mann gegen eine Armee so groß wie ein Volk!
Er hatte laut aufgelacht, und seine Frau war erwacht. Er war hinausgegangen und hatte im Vorzimmer auf dem alten Sofa weitergedacht und geträumt. Er hatte einen Plan entworfen für den Ernstfall.
Der Ernstfall trat jetzt ein. Jetzt läutete die Glocke zum drittenmal. Die letzten der Gerufenen eilten in den Bau und fanden sich im Großen Saal ein. Mehrere hundert waren es, die darauf warteten, daß der Verwaltungschef ihnen ihre Aufgabe zuwies.
Aber es kam anders. Zunächst wurden Freiwillige gesucht. Sie sollten die Sprengmeister bei ihrer Arbeit unterstützen. Fanzis Gedanken jagten sich, und er meldete sich sofort. Die Sprengmeister warteten weit oben am Hang des Kalarades in ihren Nischen. Sie rüsteten die Kanonen, aber allein waren sie hilflos. Sie konnten nicht gleichzeitig bedienen, zielen und arretieren.
Fanzi Bablen war schon am Ausgang. Er hörte nicht mehr, welchem Meister er zugeteilt wurde. Es war egal. Die anderen würden sehen, wohin er auf dem Weg war. Er wandte sich am Bau rechts in die Gasse zum Oberen Tor. Dort blieb er stehen und wartete, bis die anderen in Sichtweite kamen.
„Ich gehe dort hinauf!" schrie er und deutete auf den Hang, der zum Taleinschnitt lag.
Dort oben schimmerte nur ein einziges Licht und markierte den Standort der Kanone.
Direkt über der Stadt waren es Dutzende, und in ihrem Schein richteten sich die Kanonen auf die Aschewolken, von denen Fanzi glaubte, daß sie von den Somern bewußt über der Stadt zu Wirbeln geballt wurden.
O ja, es war bekannt, mit welchen Mitteln die Somer agierten, wenn es galt, die Population Izu unterstützen. Es grenzte an Völkermord, was die verhaßten Kodexdiener taten.
Fanzi eilte dem Berghang entgegen und begann den Aufstieg auf dem schmalen Pfad.
Die Luft war feucht, das äußere Gestein des Hanges gab kaum noch Wärme ab, Fanzi glitt ein paar Mal mit einem Fuß aus und mußte sich mit den Händen abstützen. Er biß sich auf die Lippen und hastete weiter.
Regen setzte ein. Das Gestein wurde naß und schlüpfrig. Er begann in seiner dicken Kluft zu schwitzen, aber er wußte, daß er sich den Tod holen würde, wenn er sich seiner Kleidung zum Teil entledigte. Auf halber Höhe blieb er einen Augenblick stehen und sah hinab auf die Stadt. Es war finster geworden in Naudris. Nur auf den Türmen und Zinnen der Mauer glommen Lichter. Dafür war das Tal weiter unten
Weitere Kostenlose Bücher