1297 - Das Blutsee-Quartett
gewisser Bruder Anselmo, ein sehr weltoffener Mann, für den dieses Kloster wohl nichts anderes als eine perfekte Tarnung war, um nicht an die Öffentlichkeit treten zu müssen. Dass er diesen Piloten in seine Nähe gelassen hatte, wies darauf hin, dass sich Dinge ereignet hatten, die ungemein wichtig für ihn und womöglich auch seine Zukunft waren.
Es hatte eine schmale Zufahrt durch die Berge gegeben, aber die hörte jetzt auf, und so rollten wir über ein normales Gelände hinweg, das wenig autofreundlich war.
Über dem Eingang brannte Licht. Drei künstliche große Kerzen waren unter einer Glashaube versteckt und ließen ihr Licht bis hin zum Boden gleiten.
Suko hielt den Fiat dort an, schnallte sich los und öffnete die Tür. Ich stieg langsamer aus als er. Ich wollte mir noch einen Blick in die Umgebung gönnen.
1000 Meter befanden wir uns bestimmt über dem Meeresboden. Bei Tag hätten wir einen perfekten Rundblick gehabt, doch die dichte Dämmerung ließ es nicht zu. So sahen wir die Berge nur wie starre Schatten und über ihnen den Rest der letzten entschwindenden Helligkeit des vergehenden Tages. In den Tälern und breiten Mulden war es finster, und irgendwo dort musste auch der geheimnisvolle Blutsee liegen, aus dem diese drei Gestalten gestiegen sein sollten.
Ob wir ihn in der Nacht noch besuchen würden, war fraglich. Aber das musste Bruder Anselmo entscheiden.
Suko stand bereits an der Tür. Durch das Klingeln machte er sich bemerkbar.
Jemand öffnete die Tür. Sie bestand aus schwerem Holz und war ziemlich schmal. Aber wir Menschen passten hindurch. Nur wurde uns der Eintritt von einem Mann verwehrt, der zu uns hochschauen musste, weil er so klein war. Dabei rutschte seine Kapuze in den Nacken, und wir sahen auf einen Kopf, auf dem nur ein Haarbüschel wuchs.
Ich grüßte freundlich, stellte Suko vor und wollte auch meinen Namen nennen, als der Mönch den Kopf schüttelte.
»Es ist nicht nötig, ich weiß Bescheid. Bruder Anselmo wartet bereits auf euch.«
»Das ist gut.«
»Ich werde euch zu ihm bringen, kommt.«
Der Mann gab den Weg frei, und so konnten wir das Kloster betreten, das im unteren Bereich recht hell war, weil an verschiedenen Stellen der grauen Wände Lampen ihren Schein abgaben. Verschiedene Gänge zweigten vom Eingangsflur ab, und wir sahen auch eine breite Treppe, die in den oberen Bereich führte.
Dort mussten wir nicht hin. Der Mönch führte uns in einen Seitentrakt. Ich musste lächeln, als er vor uns herging. Es war kein normales Schreiten, sondern mehr ein Watscheln, und der Vergleich mit einer Ente kam mir in den Sinn.
Wir schritten den Flur bis zu seinem Ende hindurch und blieben vor einer Tür stehen.
»Das hier ist Anselmos Reich.« Der Kleine deutete auf die Tür. »Dahinter ist alles anders.«
»Wieso?«
»Nun ja, wir leben sehr abgesondert von der übrigen Welt. Bei Anselmo ist das nicht der Fall. Er ist an allem interessiert, und er weiß viel, sehr viel.«
»Dann hält er den Kontakt«, sagte ich.
»So ist es. Er ist unser Auge, und seine Kontakte sind schon als weltweit anzusehen. Sie beide sind dafür das beste Beispiel.«
»Da können wir nicht widersprechen.«
Man konnte nicht so einfach hinein. Es gab eine Klingel neben der Tür. Einen Spion im Holz sah ich auch, und als der kleine Mönch zurücktrat, wollte ich den Knopf drücken, doch die Bemerkung des frommen Mannes hielt mich davon ab.
»Ihr seid allein gekommen?«
»Si.«
Eine Hand strich über die Kutte an der Brust hinweg. Die glatte Stirn legte sich in Falten, und der Mönch schüttelte leicht den Kopf. »Komisch«, murmelte er.
»Was ist komisch?«
»Ach nichts.«
»Doch, jetzt sollten Sie reden.«
Der Mönch lächelte etwas verunsichert, bevor er die Antwort gab. »Ich habe gedacht, eine weitere Person gesehen zu haben.« Er kicherte plötzlich wie ein kleiner Junge. »Das ist wohl sogar eine Frau gewesen. Stellen Sie sich das vor.«
»Ja, das soll es geben.«
»Was?«
Ich hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. »Frauen, meine ich.«
»Natürlich, Signore. Aber nicht bei uns, verstehen Sie. Hier gibt es keine Frauen. Nicht im Normalfall.«
»Und doch haben Sie eine gesehen?«
»Ja.«
»Wo?«
»Draußen. Ich habe schon auf Sie gewartet. Sie waren ja angekündigt. Dabei habe ich hin und wieder einen Blick vor den Eingang geworfen, und ich meine, sie dort gesehen zu haben. Aber bitte, nageln Sie mich nicht darauf fest.«
»Wissen Sie denn noch, wie die Frau aussah?«
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