1297 - Das Blutsee-Quartett
Gleichgewicht. Justine hatte bei ihrem Lächeln den Mund geöffnet und zumindest die Oberlippen zurückgeschoben, sodass sie Paolo Cotta ihre Wahrzeichen präsentierte: Zwei spitze Vampirzähne!
Er konnte und wollte es nicht glauben. Er fühlte sich in ein Theater auf eine Bühne versetzt, und er dachte auch daran, dass die Blonde mit ihm einen Spaß trieb.
Nein, kein Spaß, denn er brauchte sich nur an den Blutsee und die vier Gestalten zu erinnern, um zu wissen, dass die Wirklichkeit manchmal grotesk und überdreht war.
So wie hier…
Vor ihm hielt sich zwar dem Äußeren nach eine Frau auf, tatsächlich aber war sie ein weiblicher Vampir, und so etwas brachte der Mann natürlich mit Blut in einen Zusammenhang.
Sie passte zu dem Quartett. Vampire brauchen menschliches Blut, um überleben zu können. Und in seinen Adern floss es.
»Nein«, würgte er hervor. »Sag, dass es nicht wahr ist. Das ist doch nicht die Wirklichkeit. Ich träume oder?«
»Nein, du träumst nicht. Wir sind hier allein in der Zelle. Ich habe zwar nicht alle Zeit der Welt, doch eine gewisse Spanne werde ich mir nehmen. Und es kommt einzig und allein auf dich an, wie du sie überstehst.«
Vor Entsetzen sprachlos, starrte er weiterhin die Person an und war ausschließlich auf ihre Zähne fixiert. Cotta reagierte auch nicht, als Arm und Hand über den Tisch hinwegschnellten und sich Finger in sein Haar drehten und ihn eisern festhielten.
Justine lachte über ihren Erfolg. Sie ließ die Haare des Mannes nicht los, zog daran, und Paolo musste nachgeben.
Eiskalt zog Justine ihr Opfer über den Tisch.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich etwas von dir erfahren will, mein Freund. Und daran kommst du nicht vorbei. Hast du mich verstanden?«
Paolo gab einen Laut von sich, der eine Zustimmung sein konnte.
»Gut, alles bereit. Wie war das mit den zwei Männern und den beiden Frauen, die aus dem Blutsee gestiegen sind?«
»Ja, das sind sie.«
»Ich weiß Bescheid. Aber ich will mehr erfahren. Wohin sind sie gegangen?«
»Keine Ahnung.«
»Ach, wirklich nicht?«
»Nein.«
Sie hob den Kopf an, drehte ihn und schlug ihn kurz zurück auf den Tisch. Der Aufprall war hart. Ganz besonders wurde die Nase des Piloten in Mitleidenschaft gezogen. Er spürte den stechenden Schmerz darin, und wenig später rann warmes Blut aus den Nasenlöchern hervor und verteilte sich auf dem Tisch.
»Ich will die Wahrheit wissen!«
»Es ist die Wahrheit«, blubberte er.
»Dann sag, was du weißt!«
Paolo Cotta war klar, dass kein Weg mehr daran vorbeiging. Er musste jetzt reden, aber er konnte nur das sagen, was er wusste. Ob das dieser blonden Bestie genügte, stand noch nicht fest.
»Ich warte nicht gern…«
»Ja, ja, ich weiß.« Der Pilot dachte an die Schmerzen, die er nicht noch mal erleben wollte. Er versuchte mit aller Macht, seine Gedanken zu ordnen, was ihm schwer fiel. Und so drangen in den nächsten Sekunden auch keine flüssigen Sätze aus seinem Mund, sondern mehr ein Gestottere, mit dem sich die Unperson zufrieden geben musste, was sie anscheinend auch tat, denn sie ließ seinen Kopf in Ruhe. Nur die Haare hielt sie nach wie vor umklammert.
»Ich konnte ja fliehen. Wohin sie gegangen sind, weiß ich nicht. Das Gelände ist leer. Sie werden sich versteckt haben, aber sie sind frei.«
Justine sagte zunächst mal nichts. Hoffnung keimte in Cotta hoch, dass sich seine Tortur dem Ende zuneigte, und das traf tatsächlich zu, denn sie ließ seine Haare los.
»Gut, du kannst dich wieder hinsetzen.«
Er hatte den Befehl gehört und reagierte trotzdem nicht. Er konnte es kaum glauben. Weiteres Blut rann nicht mehr aus seiner Nase, aber die Schmerzen stiegen bis zur Stirn hoch.
»Willst du so bleiben?«
»Nein.«
»Dann hoch mit dir!«
Es war nicht einfach für Cotta, sich wieder normal hinzusetzen. Sie hatte ihn gedemütigt und ihm brutal seine menschlichen Grenzen aufgezeigt. Sein Widerstand war längst gebrochen.
Er schaffte es, wieder eine normale Sitzhaltung einzunehmen. An der Szenerie hatte sich nichts geändert. Noch immer stand die Ölleuchte auf dem Tisch, und noch immer schaute ihn die Frau über die Tischplatte hinweg an.
Doch es hatte sich etwas bei ihr verändert. Das sah er an ihren Augen. Die Blicke der Blonden waren nicht mehr auf ihn konzentriert. Sie schien ihn völlig vergessen zu haben, denn jetzt hatte sie den Blick gesenkt und schaute auf die Tischplatte.
Die alte Ölleuchte mochte sie bestimmt nicht im Auge haben. Ihr
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