13 alte Esel
Durcheinander führte, das Änne vor ihrer Flucht im Haus verursacht hatte. So hörte er nun nur den Ton der Worte, und er dachte dabei an die Mauer, die er nicht forträumen oder übersteigen konnte. Hinter dieser Mauer war ein Mensch, den er lieben konnte, das war ihm unbezweifelbar gewiß. Nur die Mauer mußte fallen. Darauf wartete er mit der beharrlichen Geduld, die die Stärke der Schwachen ist. Nie kam ihm der Gedanke an eine andere Frau. Er liebte Martha und wartete. Liebe war für ihn nichts, das man mit Gewalt errang und dann besaß wie ein Ding. Liebe war die Erfüllung des Lebens, nicht das Leben selbst. Er hatte leben können ohne sie und hatte das Leben reich gefunden und war dankbar gewesen, und er hatte gehofft und sich zurücktreiben lassen zu seiner Frau. Und nun, als sie so rauh und schartig sprach, so aufgewühlt und phrasenlos, dachte er jäh: Die Mauer wankt.
»Mach dir keine Vorwürfe«, drängte er und berichtete, daß der Esel uralt und hinfällig gewesen und vom Tierarzt bereits aussortiert worden sei, daß ihr Schlag ihn, wäre er gesund gewesen, unmöglich hätte umbringen können. Er sprach sicherer im Bewußtsein der morschen Mauer. In jedem Wort schwang eine überzeugende kleine Schärfe mit, eine neue Zuversicht, die glaubwürdig klang. Trotzdem tröstete es sie nicht. Die Erklärungen gingen an ihrem Ohr vorbei, räumten die Last riicht von ihrem Herzen. Ihr wurde langsam bewußt, daß es im Grunde gleichgültig war, ob sie ihn getötet hatte oder nicht, daß ihre Angst nicht von den Eseln herrührte, nicht von ihrem Mann oder der drohenden Entlassung. Das war zu wenig. Mit ähnlichem war sie ohne Angst fertig geworden. Nein, es saß tiefer, mitten in ihr selbst, und jählings wurde ihr klar, was diese Angst bedeutete: Sie war dem Käfig der Armut entronnen, nur um sich im Käfig ihrer Vorurteile und Prinzipien zu fangen, und aus diesem Käfig gab es keine Flucht für sie. Brach sie aus ihm aus, dann stand sie vor dem Nichts.
Verzweifelt wehrte sie sich gegen die Einsicht, die so bitter spät kam. Leere starrte ihr rundum entgegen, schwarzes Nichts. Sie wollte es nicht sehen, es nicht zugeben, immer noch nicht. Doch es war mehr, als sie ertrug. »Josef«, stöhnte sie, »Josef, ich hab ganz falsch gedacht...«
Ihre Heftigkeit, das Zucken der eingefallenen Mienen bestürzten ihn. »Wir haben beide so viel falsch gemacht«, sagte er, ihre Hände tröstend in die seinen nehmend.
Sie entzog sich ihm ungeduldig. »Nein, du verstehst mich nicht. Falsch. So viele Jahre lang.« Ihre Ungeduld war nicht böse und herrisch wie sonst; sie versuchte nur, sich selbst das Unfaßbare faßbar zu machen. Sie sprach schnell und heiser, abgerissen. »Ich kann nicht leben, wenn ich unrecht habe. Wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, das Richtige zu tun, hätte ich es doch nicht getan! Ich war so überzeugt, bis die Esel kamen und all die schrecklichen Dinge hinterher. Ich wollte die Kinder vor dem Elend bewahren, glaub mir, das wollte ich. Du ahnst ja nicht, welchen Haß ich vor hohlem Gewäsch habe, vor seifiger Milde, und ich dachte, lieber zu hart als zu weich. Ich wollte nicht so werden wie mein Vater, so marklos gut. Das Leben ist doch hart, da wollte ich sie hart erziehen, damit sie es zu etwas bringen. Das war doch richtig, oder? Nein, nicht richtig.« Sie schluckte. »Ich habe sie angefaßt, da war es nicht mehr richtig .«
Don Chaussee tastete sich durch die wilde Rede. War es denn möglich, daß sie so abgekapselt gelebt hatte, so unverbindlich, so dürr? So zugeschlossen vor dem Leben? Er schüttelte den Kopf. So viel Hilflosigkeit war hinter der Mauer. Er hätte sie trösten mögen wie eines der Kinder. Der heftige Entschluß eines enttäuschten Kindes hatte ihr Leben und das der ihr später Anvertrauten bestimmt.
Sie schrak vor seiner Hand zurück. »Laß mich alles sagen«, forderte sie, »ich will es einmal sagen. Ich kann nicht lieben, ich habe nie geliebt, auch dich nicht. Ich wollte verheiratet sein wie alle Frauen, Ruhe und Sicherheit haben. Dann warst du so still und sanft, und ich dachte, du seist wie er — mein Vater, und ich fürchtete mich. Als du weggingst, war ich froh .« Sie wiederholte es. »Ich war froh, aber auch das war falsch. Du hast mich hart angefaßt. Vielleicht bist du gar nicht schwach. Ich weiß nichts mehr .« Mit einemmal brach das inwendige Zittern nach außen, überlief sie so, daß er hinzusprang, sie zu stützen. Es war aus. Sie gab auf. Ihr Leben
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