13 alte Esel
heilten gut. Das Fell hatte sich bei allen in den wenigen Ruhetagen merklich erholt — ein Zeichen für die innere Gesundung. Esel waren unglaublich zäh; er kannte das von den Muli drüben. Leider wuchs auch ihre Widerspenstigkeit. Es gelang ihm nicht, einen Esel, der ihm im Wege stand, nur einen halben Schritt seitwärts zu drücken: Panzerstur stand er da, ließ den Kopf hängen und hätte sich eher umwerfen lassen, als zu weichen. Einer schlug. Konnte es Otto gewesen sein? Er kannte sie nicht auseinander. Die Kletten würden es sofort wissen.
Zuletzt versuchte er sich dem großen Braunen zu nähern, der mit aufgerichtetem Kopf und zurückgelegten Ohren abseits stand. Sowie er sich ihm zuwandte, erstarrte er zu einem Mal unversöhnlicher Wut und — wie es Don Chaussee jetzt schien — bebender Angst. Das waren die schlimmsten Gegner, bei Mensch und Tier: die aus blinder, entsetzter Furcht handelten. Sie waren unberechenbar. Alle Muskeln des knochigen Körpers waren angespannt. Ein einziger Schritt noch auf ihn zu, und er würde zuschnappen — wild und heiß. Während sie sich, einander genau betrachtend, gegenüberstanden, fielen Don Chaussee die Worte des Herrn Ess ein: »Da haben sie jetzt endlich auch die letzten Zugtiere aus den Bergwerken abgeschafft und die Betriebe mechanisiert .« Er überlegte nicht, wieso er wußte, das ist einer von ihnen; er wußte es nur. Vielleicht, weil die Augen so ungewiß plinkerten, das Weiße so rot entzündet war?
In einer gespenstischen schnellen Folge sah er das Leben des alten Esels vor sich abrollen: unter Tage geboren, früh schon vor die Loren gespannt, die er tagaus, tagein die schrägen Stollen hochzerrte, immer von Mauern umgeben, von Staub und Dunst und Düsternis; die Treiber wechselten, nie ging es ihnen schnell genug, glatt genug, immer sauste die Peitsche, gellte das »Hü — vorwärts, du Aas — hoi!«, von den engen Gängen gebrochen und verzerrt, ihm in seine Ohren. Er war angebunden gewesen, von Mauern bedrängt, von den Menschen gequält. Jetzt war er frei! Er konnte sich auf der Hinterhand herumwirbeln, konnte ausschlagen, beißen. Er war mit Freiheit und Licht überschüttet. Und er hatte gerade noch Kraft genug, sie zu verteidigen: gegen seine Erzfeinde, die Menschen.
Don Chaussee ging langsam ein paar Schritte zurück. Er wollte ihn nicht noch mehr quälen durch sein Dastehen. Erbarmen ergriff ihn. Könnte man ihm doch nur zeigen, daß man es gut meinte! Eine Freiheit in ständiger Furcht war ja schlimmer als Gefangensein. Doch ihm fiel kein Mittel ein, erst einmal an ihn heranzukommen, und ohne das konnte man ihm die Angst nicht nehmen.
Ganz versunken in diese Erwägung, wäre er beinahe über Malwine gestolpert, die zwischen Stubben und Gestrüpp auf dem Boden hockte und einen Esel streichelte, der langgestreckt vor ihr lag. Sie lächelte in sich hinein. Die durchsichtige kleine Hand strich wie eine Feder so leicht und flüchtig über den aufgedunsenen Eselsleib. Obgleich sie den Mann erst im letzten Moment sah, schrak sie diesmal nicht zusammen. Sie schielte ihn an — schielte sie ihn an? Dieser blicklose Blick, den man nicht fassen konnte, füllte ihn stets mit schmerzlichem Mitleid. Es war, als gebe es keinen geraden Weg zur Seele dieses Geschöpfchens, als müsse man mühselig die Umwege gehen, die diese Blicke gingen. Und dann sagte sie selig: »Der ist jetzt im Himmel« und fuhr fort, sanft wie ein Hauch über Ohren und Rücken zu streichen.
Don Chaussee stellte die Tüte abermals ab und hockte sich neben sie. »Ja ?« fragte er mit belegter Stimme.
Sie nickte nachdrücklich. Ihr Stimmchen hatte wieder den zwitschernden Klang von neulich abends, und sie schien weit, weit weg zu sein. »Ja«, sagte sie, »bestimmt. Er ist im Himmel und singt. Sie singen alle im Himmel, und der kleine Esel ist so schön. Er hat eine rote Schleife um den Hals, und die anderen gestorbenen Esel sind auch da. Alle gestorbenen Tiere: Schäfchen auch und Hunde und Vögel, auf einer großen grünen Wiese mit Pflaumenbäumen.« Sie erzählte es leise vor sich hin, auf den Ballen schaukelnd, ein Eselsohr zwischen den dünnen Fingern. »Und Engel sind da, ganz kleine, und sie sind alle ganz leise. Sie fliegen. Sie haben Glöckchen in den Händen und klingeln und singen süß .«
»Komm, wir müssen jetzt gehen und essen«, sagte er, sie behutsam hochziehend und zur Tüte auch noch die Schultasche in die Hand nehmend. Sie folgte willig, immer noch weit weg. »War
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