13 Tante Dimity und die Jagd nach dem Vampir (Aunt Dimity: Vampire Hunter
Pickles Comicheft gesehen hatte.
Die knochendürre Gestalt hatte blutrote Lippen und Eckzähne wie Stalaktiten. Ihr Gesicht war weiß wie Wachs, und sie trug einen voluminösen schwarzen Umhang mit dunkelrotem Futter. Eine Wolke winziger Fledermäuse schwebte um ihren grotesken Kopf herum, und über ihr schoss ein Blitz durch den Himmel. Auch wenn es sich um eine einfache Kinderzeichnung handelte, war sie doch eindrucksvoll genug, um auch mir Albträume zu bereiten.
Während wir Erwachsenen unseren nächsten Schritt bedachten, herrschte Schweigen.
Schließlich setzte Bill Stanley auf den Boden und winkte die Zwillinge zu sich. Nachdem sie auf seinen Schoß geklettert waren, legte er die Arme um sie und erklärte ihnen sachte, aber bestimmt, dass Rendor nicht echt sei, dass es sich um eine erfundene Figur aus einem sehr dummen Buch handele. Onkel Kit habe ihnen völlig richtig erklärt, dass sie wohl einen Schatten mit dem Vampir verwechselt hätten, weil es Vampire gar nicht gebe. Den letzten Teil wiederholte Bill mehrere Male.
Er beschloss seine väterliche Lektion mit der Frage: »Habt ihr beide verstanden, was ich euch gesagt habe?«
»Ja«, antwortete Will und nickte.
»Vampire sind erfunden«, bestätigte Rob.
»Aber wir haben einen gesehen«, fügte Will hinzu.
Bill seufzte und erklärte geduldig: »Jungs, ihr habt etwas gesehen, was wie ein Vampir aussah. Wenn ihr noch einmal etwas seht, was wie ein Vampir aussieht, müsst ihr es Mami, Annelise und mir erzählen. Nur uns, nicht den Kindern in der Schule.«
Will runzelte leicht die Stirn. »Aber Daddy, wir …«
Bill unterbrach ihn. »Hört mir zu, Söhne. Einige eurer neuen Freunde haben Angst vor erfundenen Ungeheuern. Es ist nicht nett, anderen Angst einzujagen, und ihr wollt eure Freunde doch nicht erschrecken, oder?«
»Nein, Daddy«, antworteten die beiden im Chor.
»Versprecht mir, dass ihr niemandem in der Schule mehr erzählt, dass ihr einen Vampir gesehen habt«, sagte Bill ernst. »Auch nicht Clive Pickle.«
Die Zwillinge zögerten, als wurmte sie der Gedanke, dass Clive Pickle in Sachen Vampir das letzte Wort haben sollte, aber schließlich gaben sie nach.
»Okay, Daddy«, sagte Rob. »Wir versprechen es.«
»Und uns« – Bill tippte sich auf die Brust und zeigte auf mich und Annelise – »erzählt ihr, wenn ihr das nächste Mal jemanden seht, der wie Rendor aussieht.«
»Okay, Daddy«, sagte Bill.
»Gute Jungs.« Bill drückte Rob und Will an sich, bevor er sie wieder auf die Füße stellte. »Und jetzt ab ins Bett, Cowboys. Ich kann nicht zu euch rauf kommen, weil ich noch ein paar Telefonate führen muss, aber wir sehen uns morgen früh.«
»Nacht, Daddy«, sagten die Jungs und machten sich auf den Weg nach oben.
Annelise faltete die Decke zusammen und räumte die Malutensilien auf dem Tisch weg. Bill ging ins Arbeitszimmer, ich begab mich nach oben, um die Jungen ins Bett zu bringen. Zu meiner großen Erleichterung zeigten sie keinerlei Interesse daran, über Vampire zu reden, sondern zogen es vor, ein Kapitel aus Brighty of the Grand Canyon als Gutenachtgeschichte zu hören. Wenn sie mich darum gebeten hätten, hätte ich ihnen das ganze Buch vorgelesen. Brighty, der freundliche und tapfere Maulesel, war das perfekte Gegenmittel zu Rendor den Zerstörer der Seelen.
Auf der Treppe nach unten traf ich Annelise, die sich auf dem Weg in ihr Zimmer befand.
»Was hast du mit der Zeichnung von Will gemacht?«, fragte ich sie leise. »Der Zeichnung von Rendor.«
»Eigentlich wollte ich sie ins Feuer werfen«, antwortete sie. »Aber dann dachte ich, dass du vielleicht noch mal einen Blick drauf werfen willst, und hab sie in die Schublade in der Küche gelegt.«
Ich nickte, wünschte ihr eine gute Nacht und stieg weiter die Treppe hinunter.
Es gab eine Menge Schubladen in der Küche, aber nur eine, die wir als »die Schublade« bezeichneten. Ich zog sie auf und entnahm Wills Zeichnung einem Durcheinander aus Essstäbchen, Geburtstagskerzenhaltern, Teefiltern, Bürstchen für Pilze, Flaschenöffnern, Spielzeugautos, Zahnstochern und kleinen Plastik-Dinosauriern. In dem vertrauten Sammelsurium wirkte Rendors Porträt noch verstörender als zuvor.
Nach einem kurzen Kampf mit einem Essstäbchen, das sich quer gelegt hatte, schloss ich die Schublade, legte die Zeichnung auf den Küchentisch und betrachtete sie genauer. Ich starrte noch immer darauf, als Bill aus dem Arbeitszimmer trat, mich vom Flur aus sah und zu mir in die Küche
Weitere Kostenlose Bücher