13 Tante Dimity und die Jagd nach dem Vampir (Aunt Dimity: Vampire Hunter
flackernden Flammen warfen einen rötlichen Glanz auf ihr verwittertes Gesicht und ließen goldene Funken in ihren hellen Augen tanzen.
»Im Jahre 1899«, begann sie, »warf ein fürchterlicher Sturm ein Schiff nahe der Stadt Whitby in North Yorkshire an den Strand. Die Mannschaft war tot, der einzige Passagier verschwunden, und niemand hatte eine Erklärung für die seltsame Fracht, die das Schiff befördert hatte. Fünfzig Kisten mit Erde – eine merkwürdige Ladung, die da nach England verschifft werden sollte. Dennoch wurden die Kisten auf mehrere Wagen verladen und nach London transportiert, gemäß den Unterlagen, die man in der Kapitänskajüte gefunden hatte. Die Kisten gehörten dem vermissten Passagier.« Als sie mich ansah, tanzten die Flammen in ihren Augen. »Sein Name war Graf Dracula.«
»Ich habe von ihm gehört«, sagte ich gelassen. Es schien mir unhöflich, sie darauf hinzuweisen, dass ihre Geschichte geradewegs Bram Stokers berühmtem Roman entliehen war, der durchaus in den dicht gefüllten Bücherreihen auf der Anrichte stecken konnte.
»Jeder hat von Graf Dracula gehört«, sagte Lizzie und schaute wieder ins Feuer. »Und einige hörten auch von den nach London gesandten Kisten. Aber nur wenige – sehr wenige – wissen, dass die Wagen mit den Kisten ihre Reise nach Süden für einen Halt auf Aldercot Hall unterbrachen.«
»Ah«, hauchte ich. Die Aldercot-Variante stellte eine neue Wendung der alten Geschichte dar, einen Subplot, wie er in Stokers Buch nicht vorkam.
»Die Familie Aldercot war Jahre zuvor ausgestorben, das alte Herrenhaus verlassen«, fuhr Lizzie fort. »Aber kurz nachdem die Wagen ihren unerwarteten Halt gemacht hatten, zog eine neue Familie – die DuCarals – in das alte Gemäuer ein. Sie behaupteten, entfernt mit den Aldercots verwandt zu sein, blieben aber ansonsten unter sich und ließen sich auch nie in den nahe gelegenen Dörfern blicken. Die DuCarals holten sich alles, was sie brauchten, aus London« – an dieser Stelle warf Lizzie mir einen bedeutsamen Blick zu –, »auch ihre Dienerschaft.«
»Warum das?«, fragte ich. »Es muss doch genug Leute in der Gegend gegeben haben, die Arbeit brauchen konnten.«
»Aber es wären zu viele Fragen gestellt worden, wenn ein Mädchen aus der Nachbarschaft verschwunden wäre«, entgegnete Lizzie.
»Verschwunden wäre?«, wiederholte ich stirnrunzelnd.
»Die Mädchen, die nach Aldercot Hall kamen, hat man nie wieder gesehen«, betonte Lizzie.
»Aber ihre Familien …«, wollte ich einwenden, doch Lizzie unterbrach mich.
»Sie hatten keine Familien«, sagte sie. »Es waren alles Waisen. Als sie verschwanden, hat es niemand bemerkt oder es hat niemanden interessiert.«
»Und was ist mit ihnen geschehen?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort zu kennen glaubte.
»Die DuCarals brauchten Blut zum Leben«, sagte Lizzie unverblümt. »Sie benutzten diese Mädchen, um lebendig zu bleiben, und wenn deren Leiber blutleer waren, ließen sie sich neue schicken. Auf dem Friedhof der DuCarals gibt es mehr Gräber als Familienmitglieder. Und die meisten davon sind unmarkiert.«
Der Wind heulte im Schornstein, und die bizarren Zweige kratzten an den Fensterscheiben wie knochige Finger, die Einlass suchten. Ich umschloss die Teetasse mit beiden Händen und ignorierte die Gänsehaut auf meinen Unterarmen.
»Es konnte natürlich nicht ewig so gehen«, fuhr Lizzie fort. »Die Zeiten ändern sich, und die DuCarals änderten sich mit ihnen. Als es immer schwieriger wurde, Menschen herbeizuschaffen, verlegten sie sich auf Tiere. Eine Herde Damwild streift über ihr Anwesen – wegen des pittoresken Anblicks, könnte man meinen.«
»Sie trinken Hirschblut?« Ich verzog das Gesicht.
»Die DuCarals kommen aus dem Ausland, aber mittlerweile sind sie Engländer. Sie scheuen die Aufmerksamkeit anderer. Verschwundene Hirsche erzeugen nun mal weniger Aufmerksamkeit als verschwundene Dienstmädchen.« Sie hörte auf zu schaukeln und richtete ihre hellen Augen auf mich. »Man erkennt sie an ihren scharfen weißen Zähnen, ihrem ranzigen Atem und an der Kraft ihrer kalten Hände. Sie leben im Schatten, und wenn man sie nicht auf die richtige Weise tötet, sterben sie nie.«
»Die … richtige Weise?« Meine Stimme versagte.
Lizzie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Fragen Sie sie, wenn Sie es wagen, nach dem Mord, der vor vierzig Jahren hier geschah. Fragen Sie, warum niemand die Polizei informiert hat. Und fragen Sie, wie ein Mann an
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