13 - Wo kein Zeuge ist
nicht. Diese Rastlosigkeit, die gelegentlichen Wutausbrüche, das unbedachte Wort. Wie war die Neuigkeit aufgenommen worden, dass Lynley - allen anderen vorgezogen - die Position des Superintendent anvertraut wurde, nachdem Webberly angefahren worden war? Glückwünsche? Niemand hatte irgendjemandem zu irgendetwas gratuliert in jenen Tagen, die dem Mordanschlag auf Webberly gefolgt waren. Wer hätte an so etwas denken sollen, da der Superintendent um sein Leben rang und alle anderen auf der Jagd nach dem Täter waren? Es hatte also keinerlei Bedeutung. Es hatte nichts zu sagen. Irgendjemand hatte die Vertretung übernehmen müssen, und ihn hatte es getroffen. Es war ja nur vorübergehend, also konnte es kaum wichtig genug sein, dass irgendjemand entschieden hätte ... Nein.
Aber dennoch fühlte er sich unweigerlich in seine Anfangszeit in diesem Kollegenkreis zurückversetzt: Die Distanz, die sie zwischen sich und ihm aufgebaut hatten, der er nie einer der Jungs werden würde, nicht richtig jedenfalls. Ganz gleich, was er tat, um die Kluft zu überbrücken, es stand immer das zwischen ihnen, was sie über ihn wussten: der Titel, der Besitz, seine Privatschulsprache, der Reichtum, die angeblichen Privilegien. Aber wen, zum Teufel, kümmert das schon? Letztlich hatte es sie alle gekümmert, und das würde sich wohl auch niemals ändern.
Doch alles darüber hinaus - Abneigung, die sich langsam zu unwilliger Anerkennung und Respekt wandelte - war undenkbar. Es war sogar illoyal, es auch nur zu erwägen, und konnte nur zu Zwistigkeiten führen.
All das hinderte Lynley indes nicht daran, eine Unterredung mit DAC Cherson von der Personalabteilung zu führen, auch wenn sein Herz dabei bleischwer war. Cherson genehmigte die kurzfristige Herausgabe der Personalakte.
Lynley las sie und sagte sich, dass sie nichts hergab. Er fand Details, die man in jede Richtung interpretieren konnte: eine hässliche Scheidung, eine unbarmherzige Sorgerechtssituation, niederdrückende Unterhaltsverpflichtungen, eine Verwarnung wegen sexueller Belästigung, eine wohlmeinende Andeutung, mehr auf seine Gesundheit zu achten, ein kaputtes Knie, eine Belobigung für Eigeninitiative in der Fortbildung. Eigentlich gar nichts. Die Details summierten sich nicht zu irgendetwas.
Trotzdem machte er sich Notizen und versuchte, sein schlechtes Gewissen zu unterdrücken. Wir alle haben Leichen im Keller, sagte er sich. Meine eigenen sind abscheulicher als die von anderen.
Er ging in sein Büro zurück und las noch einmal das Profil ihres Mörders, das auf seinem Schreibtisch lag. Er sann darüber nach. Er dachte über alles nach: von gegessenen und versäumten Mahlzeiten bis hin zu Jungen, die durch einen plötzlichen Elektroschock gelähmt wurden. Was er dachte, war: nein. Was er schloss, war: nein. Was er tat, war, nach dem Telefon zu greifen und Hamish Robson über Handy anzurufen.
Er erwischte ihn zwischen zwei Terminen in seiner Praxis unweit des Barbican, wo er Privatpatienten behandelte, weit weg von der beklemmenden Atmosphäre der FischerKlinik für forensische Psychiatrie. Es war eine Nebenbeschäftigung, erklärte Robson ihm, wo er sich mit normalen Menschen in vorübergehenden Krisen befasste.
»Man kann mit dem Verbrechen nur über einen begrenzten Zeitraum umgehen«, gestand er. »Aber ich nehme an, das wissen Sie selbst gut genug.«
Lynley fragte Robson, ob sie sich treffen könnten. Bei Scotland Yard, anderswo, es spiele keine Rolle.
»Mein Terminkalender ist voll«, antwortete Robson. »Können wir nicht jetzt am Telefon reden? Ich habe zehn Minuten bis zu meinem nächsten Patienten.«
Lynley erwog den Vorschlag, doch er wollte Robson persönlich sprechen. Er wollte mehr, als nur mit ihm reden.
Robson sagte: »Ist wieder etwas ... Alles in Ordnung, Superintendent? Kann ich Ihnen helfen? Sie klingen ...« Man hörte ihn am anderen Ende mit Papier rascheln. »Hören Sie, vielleicht kann ich einen oder zwei Termine absagen oder verlegen. Wäre Ihnen damit gedient? Ich muss ein paar Einkäufe erledigen, und dafür hatte ich mir heute Abend ein wenig Zeit freigehalten. Es ist nicht weit von meiner Praxis entfernt. Kennen Sie die Kreuzung Whitecross und Dufferin Street? Da ist ein Obst- und Gemüsestand, wo wir uns treffen könnten. Wir können reden, während ich meine Einkäufe mache.«
Lynley akzeptierte, dass das reichen musste. Aber wenigstens konnte er das Thema am Telefon schon einmal anschneiden. »Wie viel Uhr?«, fragte
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