13 - Wo kein Zeuge ist
wieder zurück. »So können Sie ganz großartig ausgehen«, sagte sie. »Sorgen Sie dafür, dass Ihr Mann Sie schön ausführt.« Yasmin half Ruby auf die Füße und nahm das Rezept, das die Frau ihr hinhielt. Behutsam schob sie die zusätzliche Zehn-Pfund-Note weg, die die Frau ihr aufdrängen wollte. »Nichts da«, sagte sie. »Kaufen Sie sich lieber einen schönen Blumenstrauß für die Wohnung.«
»Blumen krieg ich genug zur Beerdigung«, erwiderte Ruby.
»Ja, aber die Toten haben nichts davon.«
Sie lachten. Yasmin brachte ihre Kundin zur Tür. Am Bordstein wartete ein Auto auf sie, an dem sich eine Tür öffnete. Yasmin half ihr hinein.
Als sie in den Laden zurückkam, ging sie gleich zu dem Kosmetikstuhl und begann, ihre Schminkutensilien zusammenzuräumen. Nkata fragte: »Was hat sie?«
»Bauchspeicheldrüse«, antwortete Yasmin knapp.
»Schlimm?«
»Bauchspeicheldrüse ist immer schlimm, Sergeant. Sie bekommt Chemo, aber das nützt nichts. Was wollen Sie, Mann? Ich hab zu arbeiten.«
Er ging auf sie zu, blieb aber auf Sicherheitsabstand. »Ich habe einen Bruder«, sagte er. »Er heißt Harold, aber wir haben ihn immer Stoney genannt. Weil er so stur war wie ein Stein auf dem Feld. Ein Stein wie die in Stonehenge, meine ich. Einen, den man nicht bewegen kann, egal, was man versucht.«
Yasmin hielt beim Aufräumen inne, einen Pinsel in der Hand. Stirnrunzelnd sah sie Nkata an. »Und?«
Nkata fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Er sitzt in Wandsworth. Lebenslänglich.«
Ihr Blick glitt zur Seite, dann sah sie ihn wieder an. Sie wusste, was das bedeutete. Mord. »Hat er's getan?«
»O ja. Stoney ... ja. Das war typisch Stoney. Hat sich eine Schusswaffe besorgt - er hat nie gesagt, von wem er die bekommen hat - und einen Typen in Battersea abgeknallt. Er und sein Kumpel wollten ihm seinen BMW abnehmen, und der Kerl hat nicht mitgespielt. Stoney hat ihn in den Hinterkopf geschossen. Eine Hinrichtung. Sein Kumpel hat ihn verpfiffen.«
Sie stand einen Moment reglos da, als schätze sie seine Worte ab. Dann setzte sie ihre Arbeit fort.
»Die Sache ist die«, sagte Nkata. »Ich hätte den gleichen Weg gehen können wie Stoney, hatte ihn schon eingeschlagen, allerdings hab ich gedacht, ich wär cleverer als er. Ich konnte besser kämpfen, und ich hatte kein Interesse daran, Autos zu klauen. Ich hatte eine Gang, das waren meine Brüder, mehr als Stoney das je hätte sein können. Also hab ich mit ihnen gekämpft, denn das war es eben, was wir getan haben. Revierkämpfe. Dieser Gehweg, jener Gehweg, dieser Zeitungskiosk, jener Zigarettenladen. Ich landete mit aufgeschlitztem Gesicht in der Notaufnahme.« Er wies auf die Narbe in seinem Gesicht. »Meine Mutter ist ohnmächtig geworden, als sie's gesehen hat. Ich schau sie an und schau zu meinem Dad und weiß, dass er mich windelweich prügeln wird, wenn wir nach Hause kommen, bevor oder nachdem mein Gesicht genäht ist. Und ich seh - ganz plötzlich kam das -, dass er mich nicht meinetwegen verprügeln wird, sondern weil ich Mum wehgetan habe, so wie Stoney Mum wehgetan hat. Und dann hab ich auf einmal gesehen, wie sie sie behandelt haben. Die Ärzte und Schwestern in der Notaufnahme, meine ich. So als hätte sie was falsch gemacht. Und das dachten sie auch, weil einer ihrer Söhne im Knast und der andere ein Brixton Warrior war. Und das war's.« Nkata streckte die leeren Hände aus. »Ein Bulle hat mit mir über den Kampf geredet, dem ich diese Narbe zu verdanken hab. Und er hat mich auf einen anderen Kurs gebracht. Und ich hab mich an diesen Cop und diesen neuen Kurs gehalten, weil ich Mum nicht das antun wollte, was Stoney ihr angetan hat.«
»Einfach so?«, fragte Yasmin. Er hörte den verächtlichen Unterton in ihrer Stimme.
»Simpel, aber nicht einfach«, verbesserte er sie höflich.
Yasmin fuhr fort, ihr Make-up einzupacken. Geräuschvoll schloss sie den Koffer und hob ihn von der Theke. Sie trug ihn zum hinteren Ende des Ladens, stellte ihn ins Regal, ehe sie eine Hand in die Hüfte stemmte und sagte: »War das alles?«
»Nein.«
»Na schön. Was noch?«
»Ich wohne bei meinen Eltern, drüben im Loughborough Estate. Ich werd bei ihnen wohnen bleiben, egal, was kommt, denn sie werden älter, und je älter sie werden, umso gefährlicher wird es für sie dort drüben. Ich lass nicht zu, dass Fixer und Dealer und Luden ihnen Ärger machen. Diese Typen mögen mich nicht sonderlich, sie wollen nicht in meiner Nähe sein, und todsicher
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