13 - Wo kein Zeuge ist
glaub mir, deine Kumpel werden staunen, wenn sie sehen, wie mühelos du dich befreien kannst, selbst wenn deine Hände auf den Rücken gefesselt sind. Hier. Fessel du mich zuerst. Siehst du, wie es geht? Jetzt fessele ich dich.
Etwas in der Art, dachte sie. Irgendetwas in der Art. So hatte er es gemacht. Dann hatte er den Oberkörper des Jungen aufs Bett hinabgedrückt. Kein Geschrei, Davey, kein Gezappel. Okay. In Ordnung. Keine Panik, Junge. Ich binde deine Hände los. Aber versuch nicht, mir wegzulaufen, weil ... Gott verflucht, du hast mich gekratzt, Davey. Du hast es gewagt, mich zu kratzen, und jetzt muss ich ... Ich hab dir doch gesagt, du sollst still sein, oder? Hab ich das nicht, Davey? Hab ich das nicht, du jämmerlicher, dreckiger, kleiner Mistkerl?
Oder vielleicht hatte er dem Jungen auch Handschellen angelegt. Handschellen, die im Dunkeln leuchteten wie die, die Barry Minshall Davey gegeben hatte. Oder vielleicht war es auch gar nicht nötig gewesen, ihn zu fesseln, oder sein Mörder hatte es nicht für nötig befunden, weil Davey so viel kleiner war als die anderen Jungen. Immerhin waren an seinen Handgelenken keine Fesselspuren gewesen, im Gegensatz zu den übrigen Opfern ...
Das gab Barbara zu denken und brachte sie zu der Erkenntnis, wie verzweifelt sie sich wünschte, dass diese Wohnung an der Wood Lane die Antwort sei und dass sie sich auf gefährlichem Boden bewegte und versuchte, sich den Ort so zurechtzubiegen, damit er zu den Tatumständen passte. Das war die schlimmste Art fahrlässiger Polizeiarbeit, die unschuldige Menschen hinter Gitter brachte, weil die Beamten so verdammt müde waren und unbedingt an einem Abend vor zehn Uhr zum Essen zu Hause sein wollten. Ihre Frauen beklagten sich schon, ihre Kinder benahmen sich schlecht, und es musste dringend mal ein ernstes Wort gesprochen werden, und warum hast du mich überhaupt geheiratet, Frank oder John oder Dick, wenn du doch monatelang nie zu Hause bist ...
So lief es, und Barbara wusste das. So machten Polizisten tödliche Fehler. Sie hängte den Bademantel zurück in den Schrank und zwang sich, mit dem Kopfkino aufzuhören.
Sie hörte Morags Schlüssel ins Schloss gleiten. Ihr blieb nur noch Zeit für einen hastigen Blick auf die Laken unter der Tagesdecke, denen ein schwacher Lavendelduft anhaftete. Sie enthüllten keine sichtbaren Geheimnisse, also ging Barbara zu der Kommode auf der anderen Seite des Zimmers. Und da war es: Alles, was sie brauchte. Auf einem Foto war eine Frau im Hochzeitskleid an der Seite ihres bebrillten Bräutigams zu sehen. Auf dem zweiten stand eine wesentlich ältere Version dieser Frau auf dem Pier in Brighton. In ihrer Begleitung war ein jüngerer Mann. Genau wie sein Vater trug er eine Brille.
Barbara nahm dieses zweite Foto mit zum Fenster, um es sich genauer anzusehen. Im Wohnzimmer ertönte Morags Stimme: »Sind Sie noch hier, Constable?«, und Mandy gab ihr siamesisches Jaulen von sich.
Im Schlafzimmer murmelte Barbara: »Gott verflucht ...« und starrte auf die Fotografie hinab. Hastig steckte sie sie in ihre Schultertasche. Dann nahm sie sich, so gut es ging, zusammen und rief: »Tut mir Leid. Ich hab mich ein bisschen umgeschaut. Das hier erinnert mich an meine Mum. Sie ist ganz verrückt nach diesem Zeug aus den Sechzigern.«
Völliger Blödsinn, aber das spielte jetzt keine Rolle. Die Wahrheit war, in ihrem jetzigen Zustand bedeuteten die Sechziger ihrer Mutter etwa so viel wie eine Schüssel Kartoffeln.
»Mandy hatte kein Wasser mehr«, berichtete Barbara, als sie sich der Verwalterin im Wohnzimmer wieder anschloss. Die Schleckgeräusche der Katze drangen aus der Küche. »Ich hab den Napf aufgefüllt. Futter ist noch reichlich da. Ich glaube, jetzt kommt sie ein Weilchen zurecht.«
Morag warf ihr einen wissenden Blick zu, der zu besagen schien, dass sie von Barbaras tiefer Besorgnis um das Tier nicht ganz überzeugt war. Aber sie unternahm keinen Versuch, Barbara zu überprüfen, also endete alles mit einer höflichen Verabschiedung. Dann hastete Barbara nach draußen und kramte unterwegs in ihrer Tasche nach dem Handy.
Es begann zu klingeln, als sie gerade Lynleys Nummer eintippen wollte. Das Display zeigte eine Scotland-Yard-Durchwahl.
»Detective Con ... Constable Havers?« Es war Dorothea Harriman. Sie klang furchtbar.
»Ja?«, sagte Barbara. »Was ist los, Dee?«
»Con ... Detect...«, stammelte Harriman.
Barbara hörte, dass sie schluchzte. »Dee. Dee, reißen Sie sich
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