13 - Wo kein Zeuge ist
hatten sich bereits an der Polizeiabsperrung eingefunden und riefen Fragen in den Tunnel. Sie hatten drei Fotografen mitgebracht, die ein wahres Blitzlichtgewitter veranstalteten, während sie über und um den Constable herum fotografierten, der vergeblich bemüht war, sie davon abzuhalten. Gerade als Lynley und Havers ihre Dienstausweise vorzeigten, brauste der erste Übertragungswagen eines Nachrichtenfernsehsenders heran und spuckte Kamera- und Tonleute aus. Hier wurde dringend ein Pressesprecher gebraucht.
»... Serienmörder?«, hörte Lynley einen der Reporter rufen, als er, gefolgt von Havers, die Absperrung passierte.
»... Kind? Erwachsener? Männlich? Weiblich?«
»Bleiben Sie doch mal stehen, Mann. Irgendwas müssen Sie uns doch sagen können.«
Lynley ignorierte sie, Havers murmelte »Geier« vor sich hin. Sie kamen etwa in der Mitte des Tunnels zu einem niedrigen Sportwagen, dessen Lack abgeblättert war und den sein Besitzer offenbar hier entsorgt hatte. Sie erfuhren, dass an dieser Stelle der Leichnam von einem Taxifahrer entdeckt wurde, der auf dem Weg von Bermondsey nach Heathrow gewesen war, von wo aus er den ganzen Tag lang transatlantische Fluggäste für einen exorbitanten Preis nach London zu bringen gedachte - exorbitant vor allem dank des ewigen Rückstaus auf dem Hammersmith-Zubringer. Dieser Taxifahrer war längst weg, seine Aussage aufgenommen. Die kriminaltechnische Untersuchung war bereits im Gange, und ein Detective Inspector von der Polizeistation Borough High Street wartete auf Lynley und Havers. Sein Name sei Hogarth, stellte er sich vor, und sein DCI hatte Anweisung gegeben, dass nichts bewegt werden dürfe, ehe jemand von Scotland Yard den Tatort besichtigt hatte. Es war unschwer zu erkennen, dass er darüber nicht glücklich war.
Lynley konnte sich nicht damit aufhalten, Hogarths Ego wieder aufzupäppeln. Wenn dies tatsächlich ein weiteres Opfer ihres Serienmörders war, hatten sie ganz andere Probleme als Kollegen, denen es missfiel, dass New Scotland Yard in ihr Revier eindrang.
»Was haben wir?«, fragte er Hogarth, während er ein Paar Latexhandschuhe überstreifte, die einer der KTU-Leute, die die kriminaltechnische Untersuchung durchführten, ihm reichte.
»Schwarzer Jugendlicher«, antwortete Hogarth. »Jung. Zwölf, dreizehn? Schwer zu sagen. Wenn Sie mich fragen, passt das hier nicht zum Modus Operandi des Serientäters. Keine Ahnung, warum man euch angerufen hat.«
Aber Lynley wusste es. Das Opfer war schwarz. Hillier ging mit Blick auf die nächste Pressekonferenz lieber auf Nummer sicher. »Dann wollen wir ihn uns mal ansehen«, sagte Lynley und umrundete Hogarth. Havers folgte ihm.
Der Leichnam war achtlos im Innern des Wagens abgeladen worden, wo der Zahn der Zeit den Fahrersitz mittlerweile bis auf Metallrahmen und Federn abgenagt hatte. Mit gespreizten Beinen, den Kopf zur Seite gedreht, lag der Tote dort zwischen Colaflaschen, Pappbechern, Plastiktüten voller Müll, MacDonald's-Schachteln und einem einzelnen Gummihandschuh in dem Rahmen, der einmal das Rückfenster gehalten hatte. Die Augen des Jungen waren offen und starrten blicklos auf die rostigen Überreste der Lenksäule, kurze Dreadlocks standen von seinem Kopf ab. Glatte, walnussfarbene Haut, ebenmäßige Gesichtszüge - er war ein hübscher Junge gewesen. Außerdem war er nackt.
»Verdammt«, murmelte Havers an Lynleys Seite.
»Jung«, sagte Lynley. »Er sieht jünger aus als der Letzte. Lieber Himmel, Barbara, warum, in Gottes Namen ...« Er sprach nicht weiter, ließ die Frage, auf die es keine Antwort gab, unausgesprochen. Er spürte Havers' Blick.
Mit dem Einfühlungsvermögen, das sie in den Jahren ihrer Zusammenarbeit entwickelt hatte, sagte sie: »Es gibt keine Garantien. Ganz egal, was Sie tun. Oder was Sie entscheiden. Oder wie. Oder mit wem.«
»Sie haben Recht«, stimmte er zu. »Es gibt keine Garantien. Aber er ist trotzdem der Sohn von jemandem. Das waren sie alle. Das dürfen wir nicht vergessen.«
»Glauben Sie, er ist einer von unseren?«
Lynley nahm den Leichnam genauer in Augenschein und war zuerst geneigt, Hogarths Ansicht zu teilen. War der Tote nackt wie Kimmo Thorne, war er doch achtlos hier abgeladen und nicht mit dem Zeremoniell aufgebahrt worden wie all die anderen. Er hatte kein Lendentuch aus Spitze und kein Zeichen auf der Stirn - beides zusätzliche Merkmale bei Kimmo Thornes Leiche. Seine Bauchdecke schien nicht geöffnet worden zu sein, aber entscheidender
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