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13 - Wo kein Zeuge ist

13 - Wo kein Zeuge ist

Titel: 13 - Wo kein Zeuge ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Tagen, aber plötzlich war es schlimmer geworden. Konnte man mit dreißig Jahren einen Herzinfarkt bekommen? Als sie vor dem Aktenschrank gehockt hatte, hatte eine Mischung aus Schwindel und heftigen Brustschmerzen sie erfasst, was sie beinah überwältigt hätte. Sie hatte geglaubt, sie brauche ihr Riechsalz. Gott. Riechsalz. Wo war das Wort jetzt hergekommen?
    Ulrike rief sich zur Ordnung. Sie nahm den Telefonhörer ab, wählte eine Amtsleitung und dann Griff Strongs Handynummer. Sicher unterbrach sie ihn bei irgendetwas, aber das war nicht zu ändern.
    Griff meldete sich: »Ja?« Es klang ungeduldig. Was es damit wohl auf sich hatte? Er arbeitete bei Colossus. Sie war seine Chefin. Komm damit klar, Griff.
    »Wo bist du?«, fragte sie.
    »Ulrike ...« Sein Tonfall sprach Bände.
    Doch die Tatsache, dass er sie beim Namen nannte, verriet ihr, dass er an einem sicheren Ort war. »Die Polizei war hier«, eröffnete sie ihm. »Ich kann jetzt nicht mehr sagen. Wir müssen uns treffen, ehe du herkommst.«
    »Polizei?« Seine Ungeduld war verschwunden. Ulrike hörte stattdessen seine Furcht, und das ließ sie schaudern.
    »Zwei Beamte«, sagte sie. »Eine Beamtin ist immer noch hier. Sie wartet auf dich.«
    »Auf mich? Soll ich ...«
    »Nein, du musst herkommen. Andernfalls ... Hör mal, lass uns das nicht am Handy besprechen. Wann kannst du ... sagen wir, im Charlie Chaplin sein?« Und dann fügte sie hinzu: »Wo steckst du?« Es war nur eine naheliegende Frage, damit sie abschätzen konnte, wie lange es dauern würde, bis er hier war.
    Doch nicht einmal die Vorstellung, dass die Polizei bei Colossus herumschnüffelte, konnte Griffin aus dem Konzept bringen. »Viertelstunde«, antwortete er.
    Also nicht zu Hause. Doch das hatte sie ja schon vermutet, als er sie beim Namen genannt hatte. Sie wusste, dass sie ihm nicht mehr entlocken würde. »Also, im Charlie Chaplin«, sagte sie. »In fünfzehn Minuten.« Sie legte auf.
    Dann blieb ihr nur das Warten. Das und die Frage, was Constable Havers trieb, während sie sich angeblich im Gebäude umschaute. Ulrike hatte spontan entschieden, dass es für Colossus von Vorteil wäre, wenn die Beamtin diesen Rundgang unbegleitet machte. Indem sie ihr erlaubte, sich hier frei zu bewegen, signalisierte sie, dass Colossus nichts zu verbergen hatte.
    Aber Gott, Gott, ihre Brust hämmerte. Ihre Zöpfe waren viel zu eng geflochten. Sie hatte das Gefühl, wenn sie an einem davon zog, würden sie alle ausfallen, sodass ihr Kopf kahl wäre. Wie nannte man das? Stressbedingter Haarausfall? Alopezie, das war das Wort. Gab es so etwas wie spontane Alopezie? Wahrscheinlich. Das würde sie vermutlich als Nächstes heimsuchen.
    Sie stand von ihrem Schreibtischstuhl auf, nahm Mantel, Schal und Mütze von einem Haken neben der Tür, warf sie sich über den Arm und verließ das Büro. Dann hastete sie den Flur entlang und schlüpfte in die Damentoilette.
    Dort machte sie sich bereit. Sie trug kein Make-up, also gab es nichts zu überprüfen bis auf die Beschaffenheit ihrer Haut, die sie mit Toilettenpapier abtupfte. Ihre Wangen zeigten die schwachen Narben einer pubertären Akne, aber sie war der Auffassung, es war Ausdruck überdimensionierter Eitelkeit, sie unter einer Grundierung zu verstecken. Das erweckte den Verdacht mangelnden Selbstvertrauens und hätte eine falsche Botschaft an den Stiftungsvorstand gesandt, der sie wegen ihrer Charakterstärke eingestellt hatte.
    Und genau die brauchte sie, wenn sie Colossus durch diese schwierige Phase führen wollte. Stärke. Schon seit langem gab es Pläne für eine Expansion, ein zweites Haus sollte in Nordlondon eröffnet werden. Und das Letzte, was das Planungskomitee drüben im Verwaltungs- und Spendensammelbüro brauchte, war, dass Colossus in einem Atemzug mit den Ermittlungen in einer Mordserie genannt wurde. Das würde alle Erweiterungspläne zum Stillstand bringen, und sie mussten um jeden Preis expandieren, denn sie wurden überall dringend gebraucht. Überall gab es Pflegekinder, Straßenkinder, Jugendliche, die ihren Körper verkauften und an Drogenmissbrauch starben. Colossus hatte die Antwort für sie, darum musste Colossus wachsen. Diese Situation, in der sie derzeit steckten, musste zügig bereinigt werden.
    Sie hatte keinen Lippenstift, aber einen Lipgloss in der Tasche. Sie kramte ihn hervor und fuhr sich damit über die Lippen. Dann zog sie den Kragen ihres Pullovers ein wenig höher und schlüpfte in den Mantel. Sie legte Mütze und

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