13 - Wo kein Zeuge ist
Schal an und entschied, dass sie hinreichend wie eine Vorgesetzte aussah, um das Treffen mit Griffin Strong zu überstehen, ohne wie eine Personifikation von carpe diem im schlechtesten Sinne zu erscheinen. Hier ging es um Colossus, rief sie sich in Erinnerung, und sie würde auch Griff daran erinnern, wenn sie mit ihm sprach. Alles andere war zweitrangig.
Barbara Havers hatte nicht die Absicht, Däumchen zu drehen, während sie auf Griffin Strong wartete. Vielmehr hatte sie Ulrike Ellis gesagt, sie wolle sich »ein bisschen umsehen, wenn keiner was dagegen hat«, und war zu dem Zweck aus dem Büro geschlüpft, ehe die Leiterin ihr einen Wachhund zur Seite stellen konnte. Dann hatte sie einen gründlichen Erkundungsgang durch das Gebäude unternommen, das sich allmählich mit Colossus-Teilnehmern füllte, die von einem späten Mittagessen, einer Zigarettenpause auf dem Parkplatz oder irgendwelchen dubiosen Aktivitäten zurückkehrten. Sie beobachtete, wie die Jugendlichen die unterschiedlichsten Beschäftigungen aufnahmen: Einige gingen zum Computerraum, manche in eine große Schulküche, andere in kleine Unterrichtsräume, wieder andere in einen Konferenzraum, wo sie sich im Kreis zusammensetzten und unterhielten, während ein Erwachsener ihre Ideen oder Probleme auf einem Flipchart notierte. Die Erwachsenen nahm sie besonders unter die Lupe. Sie würde sich von allen die Namen besorgen müssen. Die Vergangenheit - ganz zu schweigen von der Gegenwart - jedes Einzelnen musste überprüft werden. Routinemäßig. Lästige Arbeit, aber sie musste erledigt werden.
Niemand machte ihr bei ihrem Rundgang irgendwelche Schwierigkeiten, die meisten Kids ignorierten sie einfach. Schließlich kam sie zum Computerraum, wo Halbwüchsige jeder erdenklichen Hautfarbe anscheinend an Webdesigns arbeiteten, während ein untersetzter Lehrer etwa in Barbaras Alter einem asiatischen Jungen den Umgang mit einem Scanner erklärte. Als er sagte: »Jetzt versuch du es mal«, und einen Schritt zurücktrat, entdeckte er Barbara und kam zu ihr.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er leise. Sein Tonfall war durchaus freundlich, aber es war nicht zu verkennen, dass er wusste, wer sie war und warum sie hier war. Neuigkeiten verbreiteten sich hier offenbar mit Überschallgeschwindigkeit.
»Die Kommunikation hier funktioniert gut, was?«, sagte Barbara. »Wer ist der reitende Bote? Dieser Jack vom Empfang?«
»Das gehört zu seinem Job«, antwortete der Mann. Er stellte sich als Neil Greenham vor und reichte ihr die Hand. Sie war weich, feminin und ein bisschen zu warm. Dann eröffnete er ihr, dass Jacks Information eigentlich überflüssig gewesen sei. »Ich hätte sowieso gewusst, dass Sie ein Cop sind.«
»Persönliche Erfahrung? Hellsichtigkeit? Mein Modegeschmack?«
»Sie sind berühmt. Relativ, jedenfalls.« Greenham ging zu einem Lehrerpult in der Ecke des Zimmers, nahm eine zusammengefaltete Zeitung zur Hand und reichte sie Barbara. »Auf dem Rückweg von der Mittagspause hab ich mir die neueste Ausgabe vom Evening Standard geholt. Wie schon gesagt, Sie sind berühmt.«
Neugierig faltete Barbara das Blatt auseinander. Von der Titelseite kreischten ihr die Neuigkeiten des heutigen Leichenfunds im Shand-Street-Tunnel entgegen. Unter den Schlagzeilen waren zwei Fotos: Eines war eine körnige Aufnahme vom Innern des Tunnels, wo man mehrere Gestalten im harten Licht der KTU-Scheinwerfer um einen Sportwagen herumstehen sah; das zweite war ein glasklares Bild von Barbara selbst, die zusammen mit Lynley, Hamish Robson und dem örtlichen DI in Sichtweite der Presse zusammenstand und redete. Nur Lynley wurde namentlich genannt. Ein schwacher Trost, dachte Barbara.
Sie gab Greenham die Zeitung zurück. »DC Havers«, stellte sie sich vor. »New Scotland Yard.«
Er wies auf die Zeitung. »Wollen Sie das nicht für Ihr Sammelalbum?«
»Ich kauf mir heute Abend auf dem Heimweg drei Dutzend davon. Können wir uns kurz unterhalten?«
Er wies auf das Klassenzimmer und die emsigen jungen Leute. »Ich bin gerade beschäftigt. Hat es nicht bis später Zeit?«
»Die sehen so aus, als kämen sie ganz gut ohne Sie klar.«
Greenham ließ den Blick über seine Klasse schweifen, als wolle er den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung überprüfen. Dann nickte er und bedeutete ihr, dass sie sich auf dem Flur unterhalten konnten.
»Einer Ihrer Jungs wird vermisst«, eröffnete Barbara ihm. »Haben Sie das schon gehört? Hat Ulrike es Ihnen gesagt?«
Greenhams
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