13 - Wo kein Zeuge ist
Einstufungskurse. Er kann hervorragend mit den Jugendlichen umgehen. Nur sehr wenige brechen ihre Kurse ab, wenn sie in Griffs Gruppe waren.«
Lynley sah Havers diese Information notieren. »Ist Griff Strong heute auch hier? Da er Kimmo kannte, müssen wir ihn ebenfalls sprechen.«
»Griff?« Aus irgendeinem Grund sah Ulrike ihr Telefon an, als könne es ihr eine Antwort geben. »Nein. Nein, er ist nicht hier. Er holt eine Bestellung ab ...« Sie schien das Bedürfnis zu verspüren, an ihren Zöpfen herumzuzupfen. »Er hat gesagt, er komme heute später, also erwarten wir ihn nicht vor ... Er macht unsere T-Shirts und Sweatshirts, verstehen Sie. Sein Nebenjob. Vielleicht haben Sie sie ja draußen vor der Rezeption gesehen. In der Glasvitrine. Er ist ein hervorragender Sozialarbeiter. Wir können uns glücklich schätzen, ihn zu haben.«
Lynley spürte Havers' Blick auf sich. Er wusste genau, was sie dachte: Noch mehr Tiefen, die es zu ergründen galt.
Er sagte: »Wir haben noch einen toten Jungen. Jared Salvatore. War er auch bei Ihnen?«
»Noch einer...«
»Es sind insgesamt fünf Mordfälle, die wir untersuchen, Ms. Ellis.«
Havers fügte hinzu: »Lesen Sie denn keine Zeitung? Schaut hier irgendwer ab und zu mal in eine rein?«
Ulrike sah sie an. »Ich glaube nicht, dass diese Frage fair ist.«
»Welche?«, gab Havers zurück, aber sie wartete keine Antwort ab. »Wir reden hier über einen Serienmörder. Er hat es auf Jungs in genau dem Alter abgesehen, in dem diejenigen sind, die hier bei Ihnen auf dem Parkplatz stehen und qualmen. Jeder von ihnen könnte der Nächste sein, also entschuldigen Sie, aber mir ist vollkommen egal, was Sie für fair halten und was nicht.«
Unter anderen Umständen hätte Lynley seinen Constable an diesem Punkt zurückgepfiffen. Aber er sah, dass Havers' Ausbruch von Ungeduld einen positiven Effekt hatte: Ulrike stand auf und ging zum Aktenschrank hinüber. Sie hockte sich hin, zerrte eine der überfüllten Schubladen heraus und blätterte die Akten hastig durch. »Natürlich lese ich Zeitung ...«, sagte sie. »Ich werfe zumindest einen Blick in den Guardian. Jeden Tag. Oder zumindest, sooft ich kann.«
»Aber in den letzten Tagen nicht, richtig?«, fragte Havers. »Wie kommt's?«
Ulrike antwortete nicht. Sie blätterte weiter ihre Akten durch. Schließlich schloss sie die Schublade mit einem ordentlichen Schwung und stand mit leeren Händen auf. »Wir haben keinen Salvatore«, erklärte sie. »Ich hoffe, das stellt Sie zufrieden. Und nun erlauben Sie mir eine Frage: Wer hat Sie zu Colossus geschickt?«
»Wer?«, wiederholte Lynley. »Wie meinen Sie das?«
»Ach, kommen Sie. Wir haben Feinde. Jede Organisation wie diese, die versucht, irgendetwas in diesem verdammt rückständigen Land auch nur ein wenig zu verbessern ... Sie müssen doch wissen, dass es Menschen gibt, die auf unser Scheitern warten. Wer hat Sie auf Colossus angesetzt?«
»Polizeiliche Ermittlungen haben uns zu Colossus geführt«, antwortete Lynley.
»Die Ermittlungen der Kollegen von der Borough High Street, um genau zu sein«, fügte Havers hinzu.
»Sie erwarten tatsächlich, dass ich glaube ... Sie sind hergekommen, weil Sie denken, Kimmos Tod habe etwas mit Colossus zu tun, richtig? Nun, Sie wären nicht auf solch einen Gedanken gekommen, wenn nicht irgendwer außerhalb dieser Mauern einen Verdacht geäußert hätte, sei es auf der Polizeiwache an der Borough High Street oder irgendwer aus Kimmos Umgebung.«
Blinker, zum Beispiel, dachte Lynley. Nur hatte Kimmos gepiercter Freund mit keinem Wort Colossus erwähnt, falls er überhaupt davon gewusst hatte. »Erzählen Sie uns, was während eines Einstufungskurses passiert«, bat er.
Ulrike kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Einen Moment stand sie da und sah auf ihr Telefon hinab, als warte sie auf einen Anruf. Hinter ihr stand Havers an einer Wand voller Diplome, Zertifikate und Belobigungen und machte sich Notizen zu den ausgestellten Dokumenten. Ulrike beobachtete sie. Leise sagte sie: »Wir bemühen uns wirklich um diese Kids. Wir wollen etwas für sie verändern und glauben, der einzige Weg, das zu tun, besteht darin, Bindungen herzustellen. Von einem Lebewesen zum anderen.«
»Ist es also das, was während der Einstufung abläuft?«, fragte Lynley. »Der Versuch, eine Bindung zu den jungen Leuten herzustellen, die hierher kommen?«
Das und weit mehr als das, erklärte Ulrike. Es war die erste Erfahrung mit Colossus, die die jungen Leute
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