1300 - Die Gänger des Netzes
mit dabei. Würde es mir um nichts in der Welt entgehen lassen." Ich war erleichtert. Wenn Obeah einer von denen war, die mir den Abdruck des Einverständnisses verabreichten, dann konnte wirklich nichts schief gehen.
„Was hat Bwimi gesagt?" empfing mich Gesil. „Er hat mir Mut zugesprochen". antwortete ich. Ich war ihr dankbar, dass sie auf meine kleine Laune einging, ohne sich darüber lustig zu machen. Natürlich wussten wir beide, dass Bwimi mir nicht im Ernst Mut zusprechen konnte. Er mochte halbintelligent sein, aber er verstand nicht einmal meine Sprache. Und doch tat Gesil so, als wäre meine Besprechung mit den Weißfüchsen eine durchaus ernst zu nehmende Angelegenheit. „Das war auch das mindeste, was er tun konnte", meldete sich Perry zu Wort. „Die Initiierung ist eine ganz und gar harmlose Sache. Ernst und wichtig, gewiss, aber schmerzlos. Und was deine Zukunft anbelangt: Mach dir keine Sorgen, Eirene. Du eignest dich so gut zum Gänger des Netzes wie sonst irgendeiner. der den Abdruck des Einverständnisses erhalten hat. Wenn wir das nicht alle wüssten, wärest du nicht eingeladen worden."
„Das hat Obeah auch gesagt", antwortete ich. .,Aber redet nur zu. Je öfter ich's höre, desto leichter fällt es mir, daran zu glauben." Perry fasste mich bei den Schultern und drehte mich herum, so dass wir einander gegenüber standen. Er war einen halben Kopf größer als ich. Ruhe leuchtete aus seinen grauen Augen. „Ich weiß, es ist kein besonders guter Rat, den ich dir jetzt gebe", sagte er. „An einem Tag wie diesem fällt es einem schwer, gleichmütig zu sein. Aber ich sage dir: Je mehr du dich davon überzeugen kannst, dass der heutige Tag sich im Grunde genommen nicht von allen anderen Tagen unterscheidet, desto näher kommst du der Wahrheit, und desto aufgeschlossener bist du für das, was du heute erfahren wirst:" Er meinte es aufrichtig. Er wollte mir helfen. Aber er hatte recht: Sein Rat war schwer zu befolgen. Gleichmut brachte ich heute keinen auf. Gesil bestand nicht darauf, dass auch dieser Tag mit einem anständigen Frühstück beginnen müsse. Sie spürte mit sicherem Instinkt, dass ich keinen Bissen hinunterbrächte.
Ich ging in mein Zimmer. Die saloppe Kombination, die ich mir heute früh angezogen hatte, taugte nicht für die feierliche Zeremonie der Initiierung.
Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit. Gemächlich machte ich mich daran, mich für den großen Augenblick herzurichten. Vor dem großen Spiegel blieb ich eine Zeitlang sitzen und sah mein Ebenbild an. Irgendwie erwartete ich, dass es zu sprechen beginnen würde. Ich erwartete einen aufmunternden Zuspruch. In den vergangenen Jahren hatte ich oft hier gesessen und mit mir selbst Zwiesprache gehalten. Meine Gedanken wanderten zurück. Ich machte Bestandsaufnahme. Heute schien der passende Tag dafür. Was hinter mir lag, ging heute zu Ende. In einer Stunde würde eine neue Welt sich mir öffnen.
Ich dachte zurück an eine Kindheit, die viel Freude gesehen hatte, aber auch manch unglückliche Stunde. Soweit ich mich zurückerinnern konnte, waren Gesil und Perry stets fürsorgliche, liebe- und verständnisvolle Eltern gewesen. Ihre Tätigkeit als Gänger des Netzes führte sie oft von Sabhal fort. Aber in der Zeit ihrer Abwesenheit hatte ich mich nicht einsam zu fühlen brauchen. Ich hatte viele Freunde, gleichaltrige und ältere, fremdartige und gleichartige. Zu den ersteren zählten Gucky, Obeah und Icho Tolot, zu den letzteren Geoffry Waringer, Jen Salik, Fellmer Lloyd, Ras Tschubai und Irmina Kotschistowa. Ich hätte mich um nichts zu sorgen brauchen, wenn da nicht die innere Unruhe gewesen wäre, die mir zu schaffen machte.
Ich besaß Gaben, vor denen ich mich fürchtete. Ich konnte Unheil anrichten, wenn ich nicht genau aufpasste. Ich. war meiner selbst nicht sicher.
Schon in jungem Alter war ich von Perry und Gesil über meine Herkunft aufgeklärt worden. (Dass ich sie bei den Vornamen nannte, war ein Zeichen meiner Unsicherheit. Die Worte Vater und Mutter wollten mir nicht über die Zunge. Ich empfand mich als etwas Fremdes.) Gesil war die Inkarnation einer Kosmokratin, Perry war Terraner. Ich erfuhr, was Kosmokraten waren: Ungeheuer Mächtige, die jenseits der Materiequellen wohnten und für sich in Anspruch nahmen, die Entwicklung des Kosmos in ihrem Sinn zu lenken. Ich lernte auch, dass die Terraner lange Zeit im Dienst der Kosmokraten gestanden hatten, bis sie eines Tages erkannten, dass der Weg der Mächte
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