1300 - Die Gänger des Netzes
links darunter. Anstelle einer Nase hatte er eine mit zahlreichen Lamellen versehene Öffnung in der Mitte des Gesichts. Wenn er heftig atmete was oft geschah, wie zum Beispiel jetzt, weil er sich eilte, zur Hecke zu kommen, bevor ich in der Garage verschwand - gaben die Lamellen rasselnde und knisternde Töne von sich.
Obeah hatte einen ungemein breiten, dünnlippigen Mund. Wenn er ihn öffnete, zum Essen oder zum Sprechen, kamen zwei Knochenleisten zum Vorschein, die ihm als Zahnersatz dienten. Man hätte meinen können, dass sich der massive Kopf ohne die Hilfe eines Halses nur schwer hin und her wenden ließe. Aber so war es nicht. Obeah hatte in Wirklichkeit einen überaus beweglichen Kopf. Die Basis des Schädels war in einen Wulst überschüssiger Haut gebettet, der sich wie ein Schal um die Schultern drapierte. Obeah konnte den Kopf um mehr als 180 Grad in beide Richtungen drehen. Als ich noch klein war, hatte er mich mit seinen Verrenkungen oft zum Lachen gebracht.
Er hatte vier kurze Beine. Man konnte sie kaum sehen, so weit ragte der Rand des halbkugeligen Leibes über sie hinaus. Obeah war flink und beweglich. Er konnte ebenso leicht seitwärts gehen wie vorwärts oder rückwärts. Er trug nur wenig Kleidung: einen bunten Rock, der mit Trägern über den runden Schultern gehalten wurde und fast bis zum Boden rutschte. An den Trägern waren ein paar Taschen angebracht, in denen Gegenstände des täglichen Gebrauchs aufbewahrt wurden. Das Volk der Duara lebte in der fernen Galaxis Dhatabaar, fast 1600000 Lichtjahre weit von Sabhal. Obeah hatte mir einst die Geschichte erzählt, wie er zu den Gängern des Netzes gestoßen war. Er hatte dem Ewigen Krieger Krovor Widerstand geleistet. Er hatte eine Untergrundorganisation ins Leben gerufen, die die Tätigkeit der Leibgarde des Kriegers sabotierte, wo immer sich ihr die Möglichkeit gab. Obeah war ein weises Geschöpf. Es war ihm nicht schwergefallen, andere von seiner Weisheit zu überzeugen und sie zu Mitgliedern seiner Organisation zu machen. Damals, vor zwei- oder dreitausend Sabhal-Jahren, hatte es eine Zeitlang ziemlich schlecht um den Krieger Krovor und sein Reich gestanden. Um ein Haar wäre es Obeah und seinen Anhängern gelungen, Krovor zu stürzen. Aber dann hatten die übrigen Krieger sich zusammengerottet, um ihrem Bruder zu helfen. Die Aufrührer wurden verfolgt und getötet, ihre Niederlassungen zerstört. Obeah selbst geriet in eine Falle. Er hatte schon mit dem Leben abgeschlossen, da erschien ein Gänger des Netzes und befreite ihn. Aus Dankbarkeit und weil er sich mühelos mit den Zielen der Netzgänger identifizierte, war Obeah selbst ein Gänger des Netzes geworden. Er zählte zu den älteren. Die Lebenserwartung der Duara war erstaunlich groß. Obeah bezeichnete sich heute noch manchmal als einen jungen Springinsfeld. Aber ich glaube, das meint er nicht ernst.
Er ragte nur zur Hälfte über die niedrige Hecke empor. Seine drei Augen funkelten lustig, die zwei seitlichen in hellem Grün, das mittlere in strahlendem Blau. „Bist du fertig, Mädchen?" fragte er mit seiner dunklen, glucksenden Stimme. „So fertig, wie ich jemals sein werde, Obeah", antwortete ich. Wir sprachen Duari eine der vielen Sprachen, die ich im Lauf der Jahre gelernt hatte. „Ich habe einen Knoten im Magen, und das Herz flattert mir. Aber sonst geht's mir gut."
„Du musst dich nicht aufregen, Eirene", ermahnte er mich. „Du bist von Wesen umgeben, die dir wohlwollen.
Niemand hätte dich eingeladen, eine Netzgängerin zu werden, wenn wir nicht alle überzeugt wären, dass du reif dazu bist. Niemand wird Unmögliches von dir verlangen. Denk daran: Du hast nur Freunde um dich."
„Wirst du dabei sein, Obeah?" fragte ich. „Ich meine, bei der Initiierung?"
„Ich?" Er tat überrascht. „Wer würde mich jungen und unerfahrenen Springinsfeld zu einer solch wichtigen Zeremonie einladen?"
„Sieh nach, bitte, Obeah", bat ich. Obeah behauptete, er hätte zwei Gehirne. Eines arbeitete im Vordergrund, das eine im Hintergrund. Erinnerungen, die er im Vordergrund nicht finden konnte, mussten im Hintergrundgehirn gesucht werden. Das nahm manchmal ziemlich viel Zeit in Anspruch. Ich glaube, er sagte das nur so, um sich ein bisschen interessanter zu machen. Als ob er das nötig gehabt hätte! „Tatsächlich!" gluckste er, und in seiner Nase raschelte und knisterte es vor Staunen. „Da hat mich doch tatsächlich jemand aufgefordert... ja, natürlich Mädchen, ich bin
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