1300 - Die Gänger des Netzes
es mir nicht. Wenn man erfahrenen Netzgängern zuhörte, dann begriff man, dass sie den Vorstoß ins Innere DORIFERS als das ultimate Abenteuer sahen. Sie sprachen von Landschaften, wie sie sich die blühendste Phantasie nicht bunter ausmalen konnte, von Longitudinal- und Transversalverschiebungen der Wirklichkeit, von Dimensionssprüngen - und natürlich von der Ungewissheit des Schicksals, das denjenigen erwartete, der sich im Innern des Kosmonukleotids verirrte. Meine Neugierde war geweckt worden. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als Dorifer von innen .zu sehen. Mindestens fünf Jahre sollte ich warten - welch eine unvorstellbar lange Zeit! Es ließ sich nichts daran ändern. Ich würde Geduld haben müssen, wenn ich mir auch im Augenblick nicht ausmalen konnte, wie ich es fertig bringen würde, so lange geduldig zu sein.
Ja - und nun stand ich da und zitterte vor Aufregung. Die Anzeigen, die der Syntron produzierte, huschten viel zu rasch über die Sichtfläche des Helms. Die meisten Tests musste ich zwei- oder dreimal durchführen, bis ich wirklich sicher war, dass meine Netzkombination einwandfrei funktionierte. Es war alles recht überraschend gekommen. Am vergangenen Abend hatten wir noch voller Spannung die Nachrichten verfolgt, die von DORIFER-Station eintrafen. Die KARMINA war planmäßig dort angekommen. Atlan hatte das Schiff an der Station angedockt und war in seine DORIFER-Kapsel gestiegen. Kurz vor Mitternacht Hagon-Zeit hatte er seinen Start signalisiert. Von der Station aus war er beobachtet worden, bis er durch das Psionische Tor im Innern des Nukleotids verschwand. Von da an gab es keine Verbindung mehr. In Hagon wartete man mit stündlich zunehmender Spannung darauf, dass der Arkonide wieder auftauchte.
Es war etwas im Gang. DORIFER bereitete sich auf etwas Wichtiges vor. Das spürten die Netzgänger mit der Sicherheit des Instinkts, den sie sich in Jahrtausenden des Umgangs mit „ihrem" Nukleotid angeeignet hatten. Sie wussten nicht, wie DORIFER funktionierte. Sein Wirken war ihnen nach wie vor ein Geheimnis. Aber sie hatten ein feines Gefühl dafür, wann DORIFER sich normal verhielt und wann nicht. Sein Verhalten im Augenblick war eindeutig anomal. Später, lange nach Mitternacht, war ich zur Ruhe gegangen. Atlan, spürte ich, würde so bald nicht wieder zum Vorschein kommen. Als ich am Morgen zum Frühstück erschien, hatte man immer noch nichts von ihm gehört. Grund zur Besorgnis bestand deswegen nicht.
Auf ihren Inspektionsflügen waren die Gänger des Netzes mitunter tagelang im Innern DORIFERS unterwegs. „Ich spüre deine Ungeduld, Eirene", sagte Perry völlig unerwartet, während ich beschäftigt war, zwei Scheiben Faleh-Schinken auf einer dünnen Brotflade zu balancieren. „Ich hätte ein Projekt für dich, das deinen Tatendrang befriedigen müsste. „ „Oh ja?" machte ich. Mehr traute ich mich nicht zu sagen; denn ich hatte den Mundvoll. „Du hast die Große Kalmenzone von Siam Som gesehen", fuhr Perry fort. „Damals führte ich dich bis an die Nähe des Randes und versuchte, dir zu erklären, wie gefährlich die Kalmen sind. Der Netzgänger, der sich in die Kalmenzone verirrt, läuft Gefahr, sein Leben zu verlieren."
„Ich erinnere mich deutlich", sagte ich, nachdem ich den Inhalt meines Mundes hinuntergewürgt hatte. „Ich möchte, dass du denselben Gang noch einmal unternimmst", sagte Perry. „Natürlich nur, wenn du dich sicher fühlst."
„Ich fühle mich sicher!" beteuerte ich hastig. „Nach Siom Som? Bis an den Rand der Großen Kalmenzone? Zwölfhunderttausend Lichtjahre weit?" Er nickte. „Es gibt viele Ziele, die du dir für den Sprung aussuchen kannst. Du weißt, welche sicher sind und welche nicht. Hüte dich, eine Welt anzuspringen, auf der Ijarkors Leibgardisten einen Stützpunkt eingerichtet haben. Ich meine nicht, dass du dich vor ihnen zu fürchten brauchst. Aber du sollst dich auf die Nähe der Kalmenzone konzentrieren. Du sollst die hinterhältige Ausstrahlung spüren, die von ihr ausgeht und die dich in eine Falle zu locken versucht. Ich möchte dich dazu bringen, dass du einen Instinkt für Kalmen entwickelst. Du wirst ihn brauchen, wenn du später Aufträge übernimmst."
So war das gewesen, vor zwei Stunden. Jetzt stand ich hier, am südwestlichen Zipfel unseres Gartens. Vor mir und zur Rechten wuchs der Wald.
Obeahs Grundstück war nicht so groß wie das unsere. Ich hatte mich bis in die äußerste Ecke zurückgezogen, um bei meinen
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