1304 - Die Voodoo-Gräfin
jubelte, und auf ihre Gesichtszüge legte sich ein Freudenschimmer.
»Aber nicht länger als eine Stunde, Kind.«
»Versprochen, Max.«
»Ich warte.«
»Das kannst du.«
Carlotta lief bereits zur Haustür. Im Winter war sie dick angezogen. Sie trug keinen Mantel, der sie beim Fliegen behindert hätte, um ihren Körper lag ein warmes Trikot aus Kaschmirwolle und darüber einen Überzug aus einem dieser neuen Materialien, das die Kälte aufhielt, die Haut aber trotzdem atmen ließ. Dieser Überzug war schwarz. So würde das Vogelmädchen bei ihrem Flug über den Himmel mit der Dunkelheit verschmelzen.
Als Maxine Wells die Tür erreichte, hatte Carlotta sie bereits geöffnet und war nach draußen getreten. Es war eine helle Winternacht. Die Zeit des Schneefalls war zunächst gestoppt worden. Die Massen lagen auf den Bergen weiter im Norden und im Osten wie eine dicke Watteschicht. Hier in der Großstadt und der Umgebung von Dundee gab es nur einige weiße Flecken.
Carlotta war bereits auf die Wiese gelaufen, um von dort zu starten. Die Stimme der Tierärztin hielt sie noch mal zurück. »Wohin willst du überhaupt fliegen?«
»Nicht nach Osten über das Wasser. Ich möchte mir etwas die Hügel und Berge anschauen.«
Maxine hob den rechten Daumen an. »Eine Stunde!«
»Versprochen!«
Danach folgte noch ein leiser Jubelschrei. Anschließend lief Carlotta mit raumgreifenden Schritten über die Wiese hinweg.
Während sie noch lief bewegte sie bereits ihre kräftigen Flügel, die auf ihrem Rücken wuchsen. Sie waren so wunderbar weich und setzten sich aus unzähligen Federn der verschiedensten Größen zusammen. Aber sie waren auch kräftig, und sie trugen Carlotta leicht in die Höhe. Diesmal flog sie allein. Maxine konnte sich an gemeinsame Flüge erinnern. Da war sie auf den Rücken ihrer Ziehtochter geklettert und hatte die Chance bekommen, sich ebenfalls die Welt von oben anzusehen. Es war einfach toll gewesen. Deshalb verstand sie Carlotta auch, dass sie fliegen wollte, um sich ihren Traum immer wieder so großartig zu erfüllen.
Bevor die Tierärztin ins Haus ging, schaute sie noch einmal in den klaren Nachthimmel.
Carlotta war nicht mehr zu sehen. Diese unendliche Weite hatte sie verschluckt und hineingetragen in eine wunderbare und majestätische Stille. Dort oben war man frei. Da lagen die Sorgen der Menschen so weit weg. Da konnte man schreien, jubilieren, sich einfach gehen lassen, denn es war niemand da, der störte.
Maxine lächelte vor sich hin, als sie wieder ins Haus ging. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zerbrach dieses Lächeln, denn sie dachte daran, dass es dort, wo es Licht gab, sich immer auch die Schatten hielten.
Bei Carlotta war es nicht anders. Da brauchte sie nicht erst an die Vergangenheit zu denken, in der Carlotta eine schreckliche und zugleich ungewöhnliche Kindheit in einem Lager verbracht hatte, aus dem sie schließlich befreit worden war, nein, es gab noch eine Vergangenheit vor der Kindheit.
Es waren schreckliche Dinge passiert. Und beide hatten Glück gehabt, einen Mann wie John Sinclair zum Freund zu haben, der ihnen in gefährlichen Situationen zur Seite gestanden hatte.
Maxine wusste jetzt, dass es Atlantis gab und dass dieser Kontinent ein Erbe hinterlassen hatte. Sie, Carlotta und John hatten sich mit einer Madame Mystique auseinander setzen müssen, und sie hatten auch einen Waisenjungen namens Damiano vor einer Gruppe von Teufelsdienern gerettet und ihn in einem Kloster in Sicherheit gebracht.
Nach dem Kennenlernen ihres Schützlings hatte sich das Leben der Tierärztin auf den Kopf gestellt. Klar, sie ging noch immer ihrer Arbeit nach, war auch in Dundee als die beste Tierärztin anerkannt, aber sie wusste jetzt, dass es hinter der sichtbaren Welt noch eine andere gab, die verdammt gefährlich war.
Maxine betrat ihr großes, gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, in dem die Wärme des Kaminfeuers für ein wohliges Gefühl sorgte.
Sie liebte diese Wärme, die nicht mit der einer Heizungsluft zu vergleichen war. Es war für sie beruhigend. Sie konnte sich wohlig ausstrecken. Sie genoss es jeden Tag. Es bereitete ihr Vergnügen, in die Flammen hinter der Scheibe zu schauen oder das Fenster offen zu lassen, um ihren Gedanken nachzuhängen, die sich auch hin und wieder um einen Mann namens John Sinclair drehten.
Durch ihn war sie mit diesen neuen Erkenntnissen konfrontiert worden.
Und Max hatte sich diesen Dingen gestellt. Sie kam jetzt besser
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