1304 - Die Voodoo-Gräfin
»Warum hat man das getan? Können Sie mir das sagen?«
»Schon…«, murmelte Helen und fühlte sich nach dieser Frage, die sie erwartet hatte, so schwach.
Maxine sah die Blässe in ihrem Gesicht. Sie stellte sofort die richtige Frage. »Sie haben Angst?«
»Ja.«
»Wovor? Nicht nur vor den beiden Hunden, denke ich mir.«
»Nein. Obwohl sie auf Menschen dressiert sind. Sie können ja nichts dafür. Es liegt immer an den Menschen. Ich habe Angst vor etwas anderem.«
»Sagen Sie es!«
Helen blickte die Tierärztin an. Sie sah in deren Augen, dass sie gern die Wahrheit sagen würde, aber da existierte noch immer eine Hemmschwelle, die sie nicht überschreiten konnte.
»Ich fürchte mich.«
Maxine nickte. »Sie sind nicht mehr allein, Helen. Daran sollten Sie denken.«
»Trotzdem.«
»Nun ja, ich kann Sie nicht zwingen. Allerdings meine ich, dass Sie zu mir Vertrauen haben sollten. Auch fremde Menschen können Ihnen manchmal helfen.«
Da musste Helen einfach lächeln. »Sie… Sie … sind gar nicht so fremd für mich.«
»Das freut mich. Um das Vertrauensverhältnis noch intensiver zu machen, sollten Sie trotzdem sagen, was Sie bedrückt. Nur dann kann man etwas tun.«
»Ich habe Angst vor der Gräfin!«
Der Satz hatte Helen gequält. Jetzt war er heraus. Trotz ihrer Furcht ging es ihr besser. Sie konnte auch tief durchatmen. Um ihre Lippen herum huschte ein Lächeln, denn sie erkannte im Gesicht der Tierärztin, dass diese ebenfalls lächelte.
»Habe ich richtig gehört? Vor einer Gräfin?«
»Ja.«
»Und der sind Sie auch entkommen oder weggelaufen? Ich frage bewusst so dumm, weil ich nichts weiß.«
»Das ist auch nicht dumm gefragt. Es ist die Gräfin Alexandra di Baggio. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Maxine Wells überlegte nur kurz. Dann war sie sich sicher, dass sie den Namen nie zuvor gehört hatte.
»Nein«, gab sie mit leiser Stimme zu. »Ich höre den Namen zum ersten Mal. Klingt italienisch.«
»Sie ist auch Italienerin. Sie soll sogar einem alten Adelsgeschlecht entstammen. Aber das weiß ich nicht genau. Nur lebt diese Gräfin nicht in Italien.«
»Wo dann?«
»Hier?«
Maxine runzelte die Stirn. »Sie meinen doch nicht, dass sie hier in Dundee lebt?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Aber nicht weit von dem Ort weg, an dem mich Ihre Tochter gefunden hat. Kennen Sie den See, der Long Loch heißt?«
»Gehört habe ich davon. Aber ich bin noch nicht dort gewesen. Im Sommer soll er ein Ausflugsziel sein.«
»Das ist wohl wahr. Und nicht weit von diesem See entfernt steht die Festung.«
»Ach, das alte Schloss, das baufällig ist?«
»Genau das. Aber es ist nur in einer Hälfte baufällig. Die andere ist noch gut bewohnbar.«
»Und dort lebt diese Gräfin?«
»Ja.«
»Bestimmt nicht allein, wenn Sie von da geflohen sind.«
»Nein. Ich bin auch nicht die Einzige, die in dieser Festung wohnt. Es gibt noch andere junge Frauen, die dort ihre Unterkunft erhalten. Sicherheit und auch Mahlzeiten. Ein Zimmer…«, sie hob die Schultern. »Nun ja, was man so braucht, wenn man sein eigentliches Zuhause verlassen musste, um sich allein durchs Leben zu schlagen.«
Maxine Wells nickte. »Ich fange an, zu begreifen«, sagte sie mit leiser Stimme. »Es ist so etwas wie ein Haus für verfolgte Frauen, die von ihren Männern malträtiert wurden, denke ich.«
»So könnte man es nennen.«
Die nächste Frage fiel Maxine schwer, weil sie doch ziemlich privat war. »Ist das bei Ihnen auch so gewesen? Haben Sie das gleiche Schicksal erlitten?«
Helen Pride bewegte ihre Hände. Mit der Ruhe war es bei ihr vorbei. Sie zog die Schultern, hoch, und auf ihrer Haut malte sich ein Schauer ab.
»Sie brauchen keine Antwort zu geben, wenn Sie nicht wollen, Helen. Ich bin Ihnen nicht böse und…«
»Doch, doch, ich will ja reden, Maxine. Ich bin froh, mit einem Menschen darüber zu sprechen. Und ich will Ihnen ehrlich sagen, dass ich eine Hölle hinter mir habe.«
»Eine Ehehölle, nehme ich an.«
»So ist es…« Das letzte Wort versickerte, und Helen strich mit der Hand über ihre Stirn. »Ich möchte Ihnen Einzelheiten ersparen, Maxine, aber ich kann Ihnen sagen, dass es alles andere als ein Spaß war. Man kann von einem Leidensweg sprechen, den ich gegangen bin. Es war nur mein Glück, dass wir zusammen keine Kinder hatten. Es hat lange gedauert, bis ich mich befreien konnte. Dann aber bin ich bei Nacht und Nebel verschwunden. Ich wollte und konnte einfach nicht mehr. Ich habe über Umwege von
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