1304 - Die Voodoo-Gräfin
Für mich ist die Freundlichkeit nur gespielt. Tatsächlich ist diese Auffangstation so etwas wie ein kaschiertes Gefängnis. Als besondere Aufpasser beschäftigt sie die beiden dressierten Bulldoggen. Die bringen jeden zur Räson. Das habe ich schon erlebt, als mal ein Mann eindringen wollte. Meiner Ansicht nach ist er völlig harmlos gewesen. Die Gräfin und ihre Killerhunde haben das anders gesehen. Der Mann wäre beinahe umgebracht worden. Mitten im Schloss auf den Fliesen zerfleischt. Das war grausam. Die Gräfin erschien dann im letzten Moment.«
Helen deutete gegen ihren Hals. »Da hing das Tier bereits an der Kehle des Unglücklichen. Hatte aber noch nicht zugebissen.«
»Danke, dass Sie mir das alles gesagt haben.«
Helen lächelte ein wenig erschöpft, was auch Maxine nicht verborgen blieb. »Haben Sie Hunger? Soll ich Ihnen eine Kleinigkeit zu essen machen?«
»Danke. Hunger habe ich nicht. Wenn ich vielleicht noch eine Tasse Tee haben könnte…«
»Gern.«
Das Getränk war noch warm, denn die Kanne stand über einer kleinen Flamme. Die Tasse wurde schnell gefüllt, und während die Tierärztin sie brachte, huschte ihr manch nachdenkenswerter Gedanke durch den Kopf.
Was sie hier erfahren hatte, war ungemein interessant, und sie zweifelte auch nicht am Wahrheitsgehalt der Worte. Das waren keine Übertreibungen. Für sie war diese Gräfin nicht nur seltsam, sondern sogar äußerst gefährlich. Max wollte ihren Gast auch nicht weiter mit vielen Fragen belästigen, aber etwas musste sie trotzdem noch wissen.
Sie wartete, bis Helen einen Schluck getrunken hatte.
»Glauben Sie eigentlich, dass die Gräfin ein normaler Mensch ist?«
Helen war überrascht. »Wie meinen Sie das?«
»Es geht um den Begriff Voodoo.«
»Ach so.«
»Sie sagen das so locker.«
»Warum nicht? Einen Spleen hat doch jeder.«
»Das stimmt.« Die Tierärztin lachte auf. Dennoch blieb bei den Fragen ein ernster Hintergrund. »Sie wissen, dass Voodoo nicht nur positiv ist, sondern auch einen sehr negativen Klang hat. Und Nadeln gehören auch dazu. Man sieht es an Ihren Beinen.«
Helen griff schnell zur Decke und zerrte sie über die Beine. »Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich will es auch nicht weiter. Ich habe es einfach nur hingenommen wie alle anderen Frauen in dieser Festung auch.«
»Warum?«
»Es ging uns doch gut nach dieser Hölle. Da nahmen wir einiges in Kauf.«
»Wie sah das finanziell aus?« Maxine ärgerte sich darüber, wieder ins Reden gekommen zu sein. »Dieses Heim, sage ich mal, muss doch finanziert worden sein, und es muss auch weiterhin finanziert werden. Haben sich da staatliche Stellen eingemischt?«
»Soviel ich weiß, nicht.«
»Und das Geld?«
»Sie ist reich, sagt man. Diese Frau hat von ihrer Familie ein Vermögen geerbt. Wir haben es zumindest so erfahren. Und so kann sie auch ihr Hobby finanzieren. Aber sie hat eben die Bedingungen, dass sich niemand aus dem Haus entfernen darf, in dem wir alles haben. Nur nicht die Freiheit wie alle anderen Menschen oder die meisten zumindest. Ich habe es da nicht mehr länger ausgehalten.«
»Ja, das verstehe ich«, sagte Maxine leise und nickte ihrem Gast zu. »Ich denke, es ist spät genug geworden. Heute ist schon morgen. Wenn eben möglich, sollten Sie noch Schlaf finden.«
Helen blickte der Tierärztin ins Gesicht. »Glauben Sie denn, dass ich jetzt noch schlafen kann?«
»Es ist schwer, das denke ich mir. Sie sollten es trotzdem versuchen, meine Liebe.«
»Und was ist morgen?«
Helen war noch skeptisch. »Sie werden mich nicht wieder zurück in die Festung bringen?«
»Himmel, wie kommen Sie darauf? Ich werde Ihnen noch einen frischen Verband anlegen und morgen früh werden wir Ihren Fuß röntgen. Das kann auch ich in meiner Praxis durchführen.«
»Danke. Sie sind so gut.«
»Ach, hören Sie auf. Nicht besser als andere. Ich werde Ihnen noch eine Flasche Wasser bringen und Sie dann allein lassen. Ist das okay?«
»Ja, das ist gut so.«
»Wunderbar, dann bis gleich…«
***
Nachdem alles erledigt war, hatte sich die Tierärztin in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen. Schlafen konnte sie nicht. Es war fraglich, ob sie in dieser Nacht überhaupt noch Schlaf finden würde, denn der Besuch dieser fremden Person war einfach zu aufregend gewesen und nicht nur etwas für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft. Sie konnte sich auf ihr Gefühl verlassen. Da braute sich etwas zusammen. Diese Gräfin hatte sich die Frauen bestimmt
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