1308 - Tödliche Schwingen
Höhe zu drücken. Trotzdem erhielt er eine Schräglage und schlug sogar mit dem Rand mehrmals gegen den Boden.
Es wurde nichts mehr mit seiner Flucht.
Ich ging sehr langsam auf ihn zu.
Carlotta stand plötzlich bei mir. Sie atmete heftig. Sie litt unter Schmerzen, und ich sah auch das dunkle Blut an ihrem Rücken.
»Das ist nicht mehr deine Sache, Kind!«
»Doch. Ich will es sehen!«
»Okay, aber sieh dich vor. Er ist noch nicht tot.«
»Ich weiß!«
Kurani kämpfte. Er war es nicht gewohnt, eine Niederlage zu erleiden. Er wollte weitermachen. Zumindest versuchte er es mit einem Fluchtversuch. Ich hatte jedoch etwas dagegen. Das letzte Wesen aus dem Labor des Professor Elax sollte mir nicht entkommen, auch wenn es immer wieder den Versuch startete und sogar vom Boden abhob.
Wäre er ein normaler Vogel gewesen, man hätte direkt Mitleid mit ihm bekommen können. Genau das war er nicht. Er wollte töten, und noch immer gab er nicht auf.
Ich überlegte, ob ich durch eine dritte, gezielt geschossene Kugel diesem Leiden nicht ein Ende bereiten sollte. Das Verhalten der Kreatur hielt mich davon ab.
Kurani schaffte es nicht mehr. Ich vernahm einen schrillen und zugleich wieder sehr menschlich anmutenden Schrei. Zugleich drückte sich der Körper des Vogels in die Höhe, aber ohne die Schwingen ausgebreitet zu haben, denn die lagen flach an ihm. Er reckte den Hals, seinen Kopf. Der Schnabel stand weit offen, und dann brach er plötzlich zusammen.
Er blieb auf dem Boden liegen, ohne sich vorerst zu rühren.
Kurani war auf den Rücken gefallen. Er hatte sich weiter von mir entfernt. Als ich hinschaute, wirkte er wie eine Plastik oder ein kleines Kunstwerk, das jemand in die Landschaft gelegt hatte.
Bei mir blieb die Vorsicht. Obwohl es mich in seine Nähe trieb, überstürzte ich nichts und ging nur sehr langsam auf ihn zu. Dabei stellte ich fest, dass etwas mit ihm passierte, für mich aber keine Gefahr war. Es ging nur um ihn.
Um eine bessere Sicht zu haben, schaltete ich die kleine Leuchte an und zielte auf ihn.
Er bewegte sich nicht. So lag auch ein Toter in seinem Sarg. Die Arme an den Körper gedrückt und…
Arme?
Ja, es wurden Arme, denn nun trat das ein, mit dem ich schon gerechnet hatte. Kurani war nicht nur Vogel, er war auch Mensch, und das zeigte er jetzt…
***
Sein Federkleid verschwand. Es löste sich einfach auf. Es fiel ab. Es wurde zu Asche. Irgendetwas im Körper knackte. Davon ließ ich mich nicht ablenken, denn mir fiel zugleich etwas auf, das viel wichtiger war, denn auch der Kopf verwandelte sich.
Ich erinnerte mich an die Beschreibung des Vogelmädchens. Sie hatte einen Mann mit einem blanken Schädel gesehen und einem so scharf geschnittenen Gesicht, das eine Raubvogelnase aufwies.
Genau diese Gestalt entstand hier!
Der Adlerkopf veränderte sich vor meinen Augen. Kleine Federn fielen ab und vergingen. Im hellen Licht der Lampe schimmerte die Haut so bleich wie die eines Toten. Ich sah die Nase jetzt genauer.
Sie glich wirklich dem Schnabel eines Adlers.
Die Lippen malten sich kaum ab. Der Mund blieb bei ihm eine flache Öffnung, und aus dem Schwanz des Vogels hatten sich Beine gebildet. Es war der unheimliche Vorgang des sich Veränderns, aber ich sah ihn nicht auf einem Monitor, sondern erlebte ihn in der Wirklichkeit. Als schwer angeschlagener Vogel kehrte Kurani in seine menschliche Gestalt zurück. So war er möglicherweise aus dem Labor geflohen, was nun jedoch keine Rolle mehr spielte.
Er versuchte auch nicht, aufzustehen. Seine gesamte Verwandlung spielte sich in einer völligen Ruhe ab. Er schlug nicht um sich.
Er stemmte sich auch nicht hoch, er lag einfach nur da und ließ alles über sich ergehen.
Den Adler kannte ich, der nackte Mensch war mir neu.
Ich leuchtete ihn ab und sah, dass seine Haut recht dunkel war.
Sie glänzte auch, als wäre sie mit Öl oder Politur bestrichen worden. Ich hatte ihn zwei Mal getroffen.
Die Einschusslöcher der Kugeln waren zu sehen. Im Arm und in der Brust. Kurani würde sich nicht mehr erheben können. Er war dabei, zu sterben. Meine zweite Kugel steckte tief in seiner Brust.
Er war kein Dämon im eigentlichen Sinne. Er verbrannte nicht durch das geweihte Silber. Er zerfiel auch nicht zu Staub. Wenn er jetzt starb, dann wie ein normaler Mensch.
Er wollte mir etwas mitteilen, denn sein lippenloser Mund bewegte sich. Ich kniete mich neben ihn und nickte ihm zu.
»Du hast es geschafft. Wer immer du bist«, ächzteer.
»Ich
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