1310 - Unternehmen Götterschrein
Koipel aus ihm gekommen war - wenige Sekunden, bevor das Imorgladin bei ihm Wirkung gezeigt hatte.
Der Unterschied zwischen dem Überschweren und mir war der, daß er mit seiner Entdeckung nichts mehr anfangen konnte. Er taumelte lediglich zurück, beide Hände auf seinen Hals gepreßt und das Gesicht von Entsetzen gezeichnet.
Sein Panish Nessa Cludo war mit einem wahren Tigersprung bei ihm, aber nicht, um ihm zu helfen.
Nessa Cludo feuerte mit seinem Paralysator bereits durch die offene Tür des Waschraums, noch bevor seine Füße wieder den Boden berührt hatten. Im nächsten Moment warf er sich blitzschnell beiseite, feuerte abermals durch die Tür und stürmte dann zusammen mit zwei Shada, die inzwischen herangekommen waren, hinein.
Niemand erwiderte das Feuer.
Ich konnte mir denken, was geschehen war, weil ich mich in die Lage des Attentäters versetzen konnte.
Aber ich eilte nicht den Stürmenden hinterher, um meine Vorstellung bestätigt zu sehen. Ich kümmerte mich um den Überschweren, bei dem soeben die Symptome der Wirkung von Imorgladin mit voller Wucht aufgetreten waren.
Telconzur schrie nicht laut. Ein Shan hatte seine Reaktionen weitgehend unter Kontrolle, denn hinter ihm lagen mindestens die ersten drei Schritte der Upanishad-Ausbildung - und sie hießen nicht von ungefähr Charimchar (über das Fleisch hinaus), Chargonchar (über den Geist hinaus) und Shant (Kampf).
Nein, Telconzur hatte die beinahe perfekte Selbstbeherrschung gelernt. Dennoch litt er grauenhafte Qualen. Ich sah es an seinen verdrehten Augen, dem verzerrten Ger sieht und dem unnatürlich weit geöffneten Mund.
Ich kauerte mich neben ihn, nahm seinen bretthart versteif ten Körper in die Arme, bettete seinen Kopf in meinem Schoß und gab ihm das Gefühl, nicht alleingelassen zu sein in seiner schwersten Stunde.
Natürlich vermochte ich ihn ebenso wenig zu retten wie Jerishal Koipel, aber ich konnte ihm weitere Qual ersparen, indem ich ihm Gemochliitrakt injizierte. Genau darauf setzte er seine ganze Hoffnung, das sah ich seinen Augen an.
Ich pappte ihm drei selbstklebende Injektionskapseln an den Hals. Ein Überschwerer brauchte eine weitaus stärkere Dosis des oxtornischen Analgetikums als ein Terraner.
Nur wenige Augenblicke später spürte ich, wie die in Schmerz und Todesnot verkrampfte Muskulatur Telconzurs sich lockerte. In den Augen des Shans flackerte ein dankbares Lächeln, dann schlössen sie sich, und der Körper erschlaffte. Telconzur war in tiefe Bewußtlosigkeit verfallen. Er spürte nichts mehr.
„Was machst du da?" schrie jemand mich an.
Ich hörte auf, den Überschweren in den Armen zu wiegen, was ich ganz unbewußt getan hatte.
Als ich aufsah, stand Nessa Cludo vor mir und blickte drohend auf mich herab.
„Du siehst es doch", entgegnete ich und erwiderte gelassen seinen drohenden Blick. „Jemand mußte sich um ihn kümmern."
„Du hast ihn mit Gemochliitrakt betäubt wie das erste Opfer des Attentäters", stellte er fest.
„Ich habe ihm damit die einzige Hilfe gewährt, die für ihn noch möglich war", erklärte ich.
„Aber er ist ein Shan!" begehrte der Panish auf.
Als ob das alles sagen würde!
„Er ist dennoch auch ein denkendes und fühlendes Lebewesen", erwiderte ich sanft und ließ den bewußtlosen Sterbenden zu Boden gleiten. „Auch er brauchte Beistand und Hilfe."
Langsam richtete ich mich auf. Er war genauso groß wie ich, so daß unsere Gesichter sich in gleicher Höhe auf kurze Distanz gegenübersahen, als ich stand.
Allmählich verschwand der Zorn aus seinem Blick. Seine Miene verriet, daß Nessa Cludo nachdenklich geworden war und meine Tat widerstrebend bewunderte.
„Ja, wahrscheinlich hast du recht, Tinta", sagte er nach einer Weile. „Ich danke dir, daß du dich um ihn gekümmert hast." Er lächelte kaum merklich. „Falls du daran interessiert bist, in die Tschomolungma aufgenommen zu werden, hast du meine Fürsprache."
„Deshalb bin ich nach Terra gekommen", erklärte ich ernst. „Ich habe vor, ein Rekrutierungsbüro in Terrania City aufzusuchen."
„Du würdest vergeblich danach suchen, Tinta", erwiderte der Panish. „Es gibt keine Rekrutierungsbüros für Shan-Anwärter. Wer in die Upanishad aufgenommen werden möchte, muß an Ort und Stelle vorsprechen. Ist es wirklich dein Ernst, Tinta?"
„Mein voller Ernst, Panish", antwortete ich.
Auf das Raunen, das unter den Passagieren ausgebrochen war, die meine Worte verstanden hatten, achtete ich nicht sonderlich.
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