1321 - Das Haus der Schatten
und…«
»Bitte, ich wollte Ihnen gerade vorschlagen, dass Sie nicht mit hineinzugehen brauchen.«
»Ich werde gehen!«, erklärte sie überraschend fest. »Ich möchte wieder ein normaler Mensch werden. Ich will meinen Schatten zurück. Ich will wieder Schmerzen spüren können. Sie glauben kaum, dass man sich auf so etwas freuen kann. Aber es ist so, Mr. Sinclair. Ich freue mich darauf. Ich will es erleben.«
»Gut. Dagegen habe ich nichts. Kann ich auch nicht. Ich möchte Sie nur warnen.«
»Danke, aber ich war schon öfter hier.«
Bill tippte mir in den Rücken. »Schließ auf, John.«
Beobachtet wurden wir nicht. Das Haus stand in einem Gebiet, für das sich Touristen nicht interessierten. Wir hörten nicht mal ihre Stimmen, aber es zwitscherten auch keine Vögel. In der Umgebung des Hauses herrschte eine schon bedrückende Stille, als wäre die Riesenstadt London gar nicht vorhanden oder so weit weg wie der Mond.
Der Schlüssel passte. Er glitt leicht in das Schloss hinein und ließ sich auch drehen. Mrs. Stone stand dicht hinter mir. Ich hörte ihr heftiges Atmen und merkte auch, dass sich mein eigener Herzschlag beschleunigt hatte.
Ich hatte mich bewusst nicht nach einer Beschreibung des Hausinneren erkundigt. Da wollte ich mich einfach überraschen lassen. Offiziell sollte hier ein Seminar für Einsame stattfinden. Eine gute Tarnung oder gar keine, denn Linda Stone hatte das Haus als Einsame betreten und es auch so wieder verlassen. Bestimmt war es diesem William Hollister ähnlich ergangen. Nur waren beide keine normalen Menschen mehr gewesen. Bei Hollister hatte dieser Zustand leider zu seinem Tod geführt.
Leichter als angenommen schwang die schwere Tür nach innen und gab uns den Weg frei.
»Dann wollen wir mal«, flüsterte mein Freund Bill Conolly dicht hinter mir.
***
Außen Holz und innen ebenfalls!
Wohin wir auch schauten, es gab nur das Holz. Ob an den Wänden, auf dem Fußboden und auch die geschwungene Treppe, die gut auf eine Theaterbühne gepasst hätte – es gab einfach kein anderes Material. Dieses Haus musste ein Holzfan gebaut haben und zugleich jemand, der auf eine Möblierung keinen Wert legte.
Es gab keine Schränke, keine Tische, keine Stühle, nur die Holzwände und die Fenster dazwischen.
Das war für uns schon überraschend.
Ich drehte mich um, weil ich der Frau eine Frage stellen wollte.
Die verschluckte ich zunächst, denn sie stand zwischen Bill und mir wie ein zu Stein gewordenes Denkmal. Den Blick hatte Linda Stone nach vorn gerichtet, nur war ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt etwas sah.
Möglicherweise stürmten zahlreiche Erinnerungen auf sie ein, die sie erst noch verkraften musste.
Es war auch hell genug. Von außen her hätte ich nicht auf diese Helligkeit getippt. Sie kam mir zudem nicht normal vor. Für mich war sie künstlich und irgendwie nicht erklärbar, denn es war keine Quelle zu sehen. Keine Lampe, weder an der Decke noch an der Wand. Das Licht war einfach da, wobei ich mich schon weigerte, es nur als Licht anzusehen. Das konnte auch etwas anderes sein.
Wir gingen einige Schritte in das Haus hinein. Bei jedem Auftreten bewegten sich die Holzbohlen unter unseren Füßen und verursachten Geräusche. Dieses leise Knarzen und Stöhnen, als hätten wir auf irgendwelche Körper getreten.
Ich entfernte mich von Linda Stone und Bill. Das tat ich nicht ohne Grund, denn beim Gehen schaute ich zu Boden und dachte an den Spruch: Wo Licht ist, gibt es auch Schatten.
Nicht hier! Hier gab es keinen Schatten. Ich warf keinen. Nicht den geringsten. Ich wusste auch nicht, wo der Schatten hätte herkommen sollen, weil ich keine normale Lichtquelle sah.
Als ich mich wieder umdrehte, schaute ich in Bills nachdenkliches Gesicht. »Was hast du für Probleme?«
»Jede Menge.«
»Lass hören.«
»Ich suche die Dunkelheit.«
»Oder meinst du den Spuk?«
»Ja, das ist besser.«
»Genau darüber habe ich auch nachgedacht und leider keine Antwort gefunden. Der Spuk steht nicht für die Helligkeit. Er will das Gegenteil, aber das haben wir hier nicht.«
Bill wollte nicht weiter darüber spekulieren und wandte sich an unsere Zeugin. »Was haben Sie denn hier erlebt, Mrs. Stone?«
»Das sagte ich Ihnen schon.«
»Ja. Es kam die Dunkelheit. Aber wir sehen sie nicht. Oder waren Sie in der Nacht da?«
»Nein, nicht nur. Außerdem habe ich das Gefühl für Zeit verloren. Es ist das Haus ohne Schatten. Die Dunkelheit schlich heran und fraß die Schatten auf.
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