1321 - Das Haus der Schatten
Plätschern eines nahen Brunnens hörten, blieben wir stehen. Wir standen so, dass wir der Hausherrin unsere Profile zeigten. Linda Stone selbst verhielt sich neutral oder schon uninteressiert. Sie stand inmitten ihres Hobbys, und das nahm sie gefangen.
»Du hast es gesehen, John?«
»Ja, es gibt keinen Schatten.«
Bill Conolly lächelte. »Da bin ich ja froh, dass es dir ebenso aufgefallen ist wie mir.«
Vor der nächsten Antwort schaute ich auf die Oberfläche des Teichs, die mit Blättern und Halmen bedeckt war. Wenn mich nicht alles täuschte, sah ich sogar einen Frosch. Ich deutete auch mit den Händen auf die Oberfläche. So spielte ich Linda Stone den Interessierten vor.
»Es war ja nicht zu übersehen, aber es schließen sich zugleich Fragen an.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Wie ist es möglich, dass jemand seinen Schatten verliert?«
»Keine Ahnung, John. Aber etwas muss vorgefallen sein, sonst wäre die Frau normal geblieben.«
»Und wie unnormal ist sie?«
»Was fragst du mich das?«
Ich warf Bill einen schiefen Blick zu. »Du kennst deine Nachbarin besser als ich.«
»Klar – vom Ansehen. Oder mal von einer Party. Aber ich weiß nicht, was Linda Stone wirklich gedacht hat.«
»Und ihr Mann?«
»Den kannst du vergessen. Der ist die meiste Zeit des Jahres für seine Firma unterwegs. Er berät andere Firmen, wenn diese sich etwas aufbauen wollen. Dessen Arbeitsplatz ist die ganze Welt. Wenn du wissen willst, wie er zu dem Phänomen steht, vorausgesetzt, er weiß Bescheid, musst du ihn schon fragen.«
»Gibt es Kinder?«
»Die Stones haben einen Sohn, der allerdings nicht mehr bei seinen Eltern lebt. Johnny kennt ihn. Ich glaube, er studiert nach seiner Zeit im Internat in Frankreich. Allerdings bin ich mir nicht hundertprozentig sicher. Jedenfalls lebt Linda Stone ziemlich allein.«
»Und wird entsprechend einsam sein«, bemerkte ich, »da kann auch der Garten nicht viel helfen.«
»Das denke ich auch, John.«
Wir waren nicht am Teich stehen geblieben, sondern weitergegangen. Es war mehr ein Schlendern, und immer wieder warfen wir den Blick mal zur einen, mal zur anderen Seite. Auf keinen Fall wollten wir auffallen, denn Linda Stone schaute immer öfter zu uns rüber.
»Stellt sich die Frage, wie wir an sie herankommen«, sagte Bill.
»Man kann sie wohl nicht fragen, wo ihr Schatten ist.«
»Warum nicht?«
»Bitte, John, das ist…«
»Du hättest mich ausreden lassen sollen. Nicht direkt fragen, meine ich. Mehr indirekt und harmlos.«
»Willst du das übernehmen?«
Ich grinste Bill Conolly schief an. »Warum hast du mich denn hergeholt, Alter?«
»Stimmt.«
»Okay, die Besichtigung ist beendet.«
Wir gingen nicht auf dem direkten Weg zu ihr, sondern schlenderten nach allen Seiten schauend wieder zu ihr zurück.
Sie stand noch immer auf dem gleichen Fleck. Ihre Haltung hatte sich ebenfalls nicht verändert. Scharf war der Blick auf uns gerichtet. Im Garten hielt sich die Wärme, aber diese Frau in der recht dicken Kleidung kam mir fast wie ein menschlicher Eisschrank vor.
Auf ihrem Gesicht sah ich keinen Schweiß, und das wunderte mich schon.
»Zufrieden, Mr. Sinclair?«
»Ich schon, Mrs. Stone. Ihre Gartenanlage ist wirklich wunderschön. Ich denke, dass ich ein paar Ideen übernehmen kann, möchte das aber nicht allein entscheiden und erst mit meiner Frau darüber sprechen.«
»Das verstehe ich. Wenn Sie und Ihre Frau wollen, können Sie sich jederzeit hier wieder umschauen. Ich freue mich über jeden Menschen, der einen Garten liebt.«
»Kann ich verstehen.«
»Gut, dann…«, sie unterbrach sich und lächelte uns dabei an.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Für mich wurde es Zeit, auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen. »Nein, danke. Ich habe nur noch eine Frage.«
»Bitte.«
»Es ist recht warm hier draußen. Deshalb wundert es mich, dass Sie noch einen so dicken Pullover tragen…«
Meine Worte klangen langsam aus, aber sie hatten der Frau nicht gefallen, das sah ich ihr an. Für einen Moment schienen ihre Augen zu vereisen, und der Blick erwischte mich wie eine Eisdusche, dann schaffte sie es, maliziös zu lächeln.
»Ja, es stimmt, Mr. Sinclair, ich trage tatsächlich einen Pullover. Bei mir ist das nicht ungewöhnlich, denn ich bin ein Mensch, der leicht friert, und das selbst im Sommer.«
»Okay.«
»Das war’s wohl, nicht?«
Ich achtete nicht darauf, dass Linda Stones Stimme weniger freundlich geklungen hatte, sondern
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