1321 - Das Haus der Schatten
keinen Sinn. Wir müssen zu einer Lösung kommen.«
»Die habe ich für mich gefunden.«
»Und wie heißt sie?«
»Lassen Sie mich in Ruhe. Gehen Sie. Ich will allein bleiben. Ich habe Sie nicht hergebeten. Hätte ich gewusst, was Sie mit mir vorhaben, hätte ich den Besuch abgeschmettert. Es ist mein Haus. Es ist mein Grundstück, das Sie jetzt verlassen sollen.«
»Es bestreitet niemand, dass es Ihr Haus und auch Ihr Grundstück ist«, sagte ich. »Aber wir sind nicht als Einbrecher oder Diebe zu Ihnen gekommen. Wir wollen Ihnen nur helfen. Nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen, dass es Ihnen wieder gut geht.«
Sie schaute mich mit einem leeren Blick an. »Mir geht es gut. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Und wie geht es Ihrem Mann?«, fragte Bill.
Die Antwort erfolgte nicht mehr sofort. Die Frau machte den Eindruck, als müsste sie überlegen. »Mein Mann ist nicht da. Ich weiß nicht, wo er sich aufhält.«
»Wann kommt er zurück?«
Linda Stone zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Morgen? Übermorgen? In einer Woche? Oder noch länger…?«
»Wissen Sie nie, wo er ist?«
»Nein. Er arbeitet. Er verdient gutes Geld. Und mir geht es demnach auch gut.«
Genau das glaubten wir ihr nicht, denn sie hatte den Satz mit einer Stimme ausgesprochen, die das genaue Gegenteil davon verriet. Es ging ihr nicht gut. Sie hatte Probleme, und das nicht nur, weil sie ihren Schatten verloren hatte. Oder gerade deswegen, denn auf mich machte sie nicht mehr den Eindruck eines Menschen, sie glich vielmehr einem Automat oder einem Roboter.
Aber es wurde anders. Sie lächelte plötzlich und drehte sich mit einer scharfen Bewegung nach rechts. Zum Garten hin ging sie nicht und auch nicht in das Haus hinein. Ihr Weg führte zu den Topfpflanzen an der Seite des Wintergartens. Sie standen auf einer Bank und wirkten wie schmale lange Palmblätter, die in die Höhe ragten und leicht zur Seite gebogen waren.
Linda Stone blieb vor der niedrigen Bank mit den Kübeln stehen und bückte sich. »John, sie hat was vor!«, flüsterte Bill.
»Keine Sorge, wir haben sie unter Kontrolle.«
»Wie du meinst.«
Linda Stone bückte sich länger als gewöhnlich. Sie schien etwas zu suchen, denn die rechte Hand war zwischen den Blättern verschwunden und bewegte sich über die Erde im Topf. Kurze Zeit später hatte sie gefunden, was sie suchte und richtete sich wieder auf.
Dann drehte sie sich.
In der Hand hielt sie ein Messer!
Es war keine lange und gefährliche Klinge. Ich kannte dieses Messer. Blumenverkäufer nahmen es, um damit die Stängel zu schneiden oder Blätter zu kürzen.
Das hatte sie nicht vor.
Sie schaute uns an und nickte dabei. »Mir geht es sogar sehr gut«, sagte sie, »schaut her!«
Linda Stone überraschte Bill und mich, denn sie schnitt plötzlich mit der Klinge in ihre linke Handfläche hinein…
***
William Hollister stand vor Lady Sarah. Das Messer steckte in seinem Bauch, und er hielt den Griff sogar noch fest, als hätte er Angst davor, dass ihm jemand die Waffe wegnehmen könnte. Dabei grinste er Sarah an und lachte leise.
Die Horror-Oma war entsetzt. Sie konnte es nicht begreifen. Was der Mann dort tat, war nicht zu fassen, nicht zu erklären. Eine Art Harakiri auf mitteleuropäische Art und Weise. Normalerweise hätte er schreien und zusammenbrechen müssen, was jedoch nicht passierte. Es quoll auch kein Blut aus der Stichwunde, weil das Messer sie möglicherweise noch dicht hielt.
Sarah Goldwyn konnte nicht sprechen. Hätte sie ihren eigenen Herzschlag nicht gehört, sie hätte sich nicht mal als Mensch gefühlt.
So aber war sie ein Mensch, aber sie traute einfach ihren Augen nicht und wunderte sich dann, dass sie sprechen konnte.
»Mister Hollister… mein Gott … was tun Sie da?« Mehr fiel ihr einfach nicht ein.
Der Mann hatte sie gehört. Er stellte sein Grinsen ein. Dafür lachte er laut auf, sodass Sarah zusammenzuckte. Er trieb mit ihrem Entsetzen einen Scherz, und einen Moment später bewegte er seine Messerhand tatsächlich.
Sehr langsam, damit Sarah auch nichts entging, zog er die Klinge wieder aus seinem Körper hervor.
Er hielt sie noch gegen sich gerichtet und schaute sie an. Sie hatte sich vom Aussehen her verändert, aber Sarah sah keine dicken Blutschlieren auf dem Metall. Dafür mehr einen rosigen Film.
»Willst du auch mal, alte Frau?«
Die Horror-Oma erschrak. Auch wenn sie diesen »Kampfnamen« trug, war sie doch ein sensibler Mensch mit allen Vor- und
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