1327 - Das Geheimnis der Wissenden
Gedanken, daß dieses Geschöpf alsbald den Anblick weiterer Fremder zu verkraften hatte, denn die Galaktiker waren zweifellos bereits nach Nyrello unterwegs. Wenn sie kamen, mußte Dao-Lins Versteck vorbereitet sein. Sie würde also gut daran tun, sich zu beeilen, zumal sie nach wie vor entschlossen war, auch Vai-Sinh und die anderen zu retten.
Dao-Lin verfügte nur über sehr vage Beschreibungen der Gebäude, die sich einst hier erhoben hatten. Die meisten Bauwerke standen ohnehin nicht mehr, und der Rest war von der Natur dieses Planeten zurückerobert worden. Die Wurzeln knorriger Bäume sprengten brüchige Mauern auseinander, und die Stümpfe uralter Säulen verschwanden unter dem Gewirr der Schlingpflanzen. Zwischen Mauerresten lag ein kleiner Teich - früher vielleicht einmal Bestandteil eines gepflegten Innenhofs, inzwischen aber längst so stark durchwuchert, daß nur noch in der Mitte eine kleine, freie Wasserfläche übriggeblieben war. Ein schmales Rinnsal speiste den Teich und verlor sich auf der anderen Seite zwischen Geröll und giftgrünen Sträuchern.
Irgendwo mußte es hier Hohlräume geben, ehemalige Kellergewölbe, die noch gut genug erhalten waren, um einer Kartanin für kurze Zeit als Unterschlupf zu dienen. Es würde nur nicht einfach sein, sie zu finden, zumal Dao-Lin auf die Anwendung technischer Hilfsmittel verzichten wollte.
Sie kannte sich mit den Galaktikern aus, und sie hatte großen Respekt vor der Technik der Fremden. Sie wußte, daß Nikki Frickel - sie nahm es als selbstverständlich an, daß die Terranerin an der Hatz beteiligt war - ohne weiteres auf Nyrello landen konnte, ohne daß Dao-Lin oder die Kartanin im Schiff etwas davon bemerken würden. Vielleicht schwebten die ersten Beiboote schon jetzt über dem Ruinengebiet. Dao-Lin hatte sich weit von der ARDUSTAAR entfernt, denn die Galaktiker wurden sich gewiß zuerst für die unmittelbare Umgebung des Schiffes interessieren. Sie glaubte nicht, daß sie selbst bereits beobachtet wurde. Aber wenn sie technisches Gerät benutzte, hätte sie ebenso gut einen Peilsender mit sich herumschleppen können.
Links tauchte zwischen Baumkronen und Gestrüpp eine noch leidlich gut erhaltene schräge Fläche auf, die Flanke eines zeltförmigen Gebäudes. Das war ein gutes Zeichen.
Dao-Lin ging auf die Fläche zu und untersuchte jede größere Bodensenke und jede Andeutung von Hohlräumen, die sie auf ihrem Weg erspähen konnte. Sie entdeckte die oberen Teile einiger Rundbögen, die aus Geröll und Wurzeln hervorragten, aber der Zugang zu den dahinterliegenden Gewölben war schon seit langer Zeit blockiert.
Sie tastete nach den Paratau-Tropfen in ihrer Jackentasche und überlegte, ob sie es per Teleportation versuchen sollte. Einer der Rundbögen schien ihr für einen solchen Versuch besonders geeignet, denn unter seinen von dickem Moos bedeckten Kanten gab es noch einen etwa kniehohen Spalt. Natürlich war dieser Spalt noch kein Beweis dafür, daß auch das dahinterliegende Gewölbe noch intakt war, aber allmählich brannte ihr die Zeit unter den Nägeln.
Sie bückte sich und spähte in den Spalt hinein. Dumpfe, feuchte Luft quoll ihr entgegen.
Ganz leise hörte sie ein Geräusch Wie von fallenden Wassertropfen. Aber da war noch etwas anderes - ein Summen, das ihr nicht gefiel.
Ein dünner, trockener Ast lag in der Nähe. Sie ging, um ihn zu holen, und stolperte dabei fast über den kleinen Fremden, der zwischen den Büschen hockte und sie allem Anschein nach beobachtet hatte. Sie war ein wenig erschrocken, und zum erstenmal fiel ihr auf, daß sie das kleine Geschöpf nicht parapsychisch erfassen konnte. Für ein Tier - wenn es eines war - war das sehr ungewöhnlich.
Der kleine Fremde seinerseits schien recht genau zu ahnen, was die Kartanin tun wollte.
Als Dao-Lin nach dem Ast griff, grunzte der Fremde ärgerlich. Er rückte vor den Spalt und versperrte ihr so den Weg.
„Hast du deine Familie da drinnen?" fragte sie.
Der Kleine fuchtelte mit seinen langen Armen in der Luft herum. Seine seltsamen Augen glühten.
„Es muß wohl wirklich deine Familie sein", murmelte Dao-Lin unschlüssig. „Keine Angst, ich werde sie in Ruhe lassen. Trotzdem brauche ich allmählich ein Versteck."
Unwillkürlich sah sie zum Himmel hinauf, aber der war wolkenlos und klar. Nirgends war ein Raumschiff zu entdecken - was natürlich herzlich wenig zu bedeuten hatte.
Der Kleine äffte sie nach und musterte ebenfalls mit sorgenvoller Miene den Himmel.
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